Verschreibungspflicht

Lemocin/Dorithricin bleiben rezeptfrei

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Berlin -

Halstabletten mit dem Wirkstoff Tyrothricin wird es weiter in der Sichtwahl geben. Ein Antrag beim zuständigen Sachverständigenausschuss (SVA), das lokal wirksame Antibiotikum der Verschreibungspflicht zu unterstellen, blieb ohne Erfolg. Lemocin (Stada) und Dorithricin (Medice) bleiben damit im Rahmen der Selbstmedikation verfügbar. Auch wird es keine Altersgrenze für Mittel gegen Reiseübelkeit mit dem Wirkstoff Dimenhydrinat geben. Stattdessen wird ein neues Antihistaminikum aus der Rezeptpflicht entlassen.

Dem Vernehmen nach hatte der Dobendan-Herstellers Reckitt Benckiser (RB) den Antrag gestellt, Tyrothricin der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Es handelt sich beim Wirkstoff nicht um eine klassische Reinsubstanz, sondern ein Gemisch aus Peptidantibiotika. Oral eingenommen wird der Arzneistoff nicht resorbiert, wodurch sich die ausschließliche lokale Anwendung ergibt. Diese wird aufgrund der generellen Resistenzgefahr seit Jahren kritisch gesehen. Tyrothricin ist indiziert bei bakteriellen Entzündungen der oralen Schleimhäute.

Stada begrüßt die einstimmige Empfehlung; der Konzern hatte Lemocin gerade erst von GlaxoSmithKline (GSK) übernommen. Es gebe keine Daten, die ein Sicherheitsrisiko von Arzneimitteln wie Lemocin mit diesem Wirkstoff belegen. Vielmehr weise das Produkt nach über 50 Jahren Anwendung eine äußerst positive Nutzen-Risiko-Bilanz vor. Deutschlandchef Eelco Ockers: „Wir fühlen uns von der Empfehlung des SVA bestätigt und freuen uns, Patienten mit Lemocin weiterhin ein jahrzehntelang bewährtes, sicheres und verträgliches Arzneimittel zur Behandlung von Halsschmerzen rezeptfrei anbieten zu können.“

Der Antrag wurde im Wesentlichen mit einer möglichen Entwicklung von Resistenzen und Kreuzresistenzen bei der Anwendung eines Lokalantibiotikums zur Behandlung von Halsschmerzen begründet. In der EudraVigilance-Datenbank, der Arzneimittelsicherheitsdatenbank der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), gibt es laut Stada jedoch keine Hinweise auf derartige Resistenzentwicklungen.

Alice Moriz, Vice President Regulatory, Medical & Clinical Affairs bei Stada, hat die mögliche Resistenzbildung gemeinsam mit ihrem Team wissenschaftlich analysiert: „Nach einer ausführlichen Literaturrecherche kommen wir zu dem Schluss, dass von einer Resistenzbildung durch die lokale Anwendung von Tyrothricin nicht auszugehen ist. Auch eine aktuelle Untersuchung von Wesgate zur Frage der Entwicklung von Resistenzen und Kreuzresistenzen beim Einsatz von Tyrothricin ändert diese Bewertung nicht. Diese Art von in-vitro Untersuchung ist methodisch ungeeignet, ein mögliches Risiko von Tyrothricin hinreichend abzubilden, da sie die Behandlungsrealität – kurzzeitige Exposition im Mund-/Rachenraum, Inaktivierung im Gastrointestinaltrakt – in keiner Weise widerspiegelt.“ Eine Verschreibungspflicht sei daher nicht gerechtfertigt.

Auch in Sachen Dimenhydrinat war das Votum einstimmig: Für das Antihistaminikum der ersten Generation wird es keine Altersgrenze in der Selbstmedikation geben. Anders als Doxylamin und Diphenhydramin wird der Wirkstoff nicht zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt, sondern vor allem zur Behandlung von Übelkeit. Aufgrund der Indikation ist die Situation daher anders als bei den beiden anderen Vertretern: Antiemetika werden in der Regel nicht als Dauermedikation eingesetzt, Hauptanwender sind jüngere Menschen. Klassiker in der Selbstmedikation sind Vomex, Vomacur und Superpep die Reisetabletten von diversen Generikaherstellern.

Vor einem Jahr hatte der SVA empfohlen, dass Doxylamin und Diphenhydramin ab 65 Jahren nur noch auf Rezept abgegeben werden dürfen. Diese Entscheidung war umstritten, weil sich die Altersgrenze in der Apotheke weder erklären noch kontrollieren lässt. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat die Empfehlung auch noch nicht umgesetzt. Stattdessen hatte Stada – hier mit dem Top-Seller Hoggar betroffen – im Herbst in einer Studie gezeigt, dass die Sturzgefahr nicht erhöht ist.

Mit Bilastin soll laut einstimmiger Entscheidung des SVA nach Desloratadin und Levocetirizin ein weiteres modernes Antiallergikum aus der Rezeptpflicht entlassen werden: In der Dosierung à 20 mg zur oralen Anwendung soll der Wirkstoff für die Selbstmedikation freigegeben werden. Bislang hat nur Berlin-Chemie mit Bitosen ein entsprechendes Produkt im Angebot; hinter dem Antrag dürfte aber wohl eher ein klassischer OTC-Hersteller stehen.

Dagegen wurde der Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für feste orale Zubereitungen von löslichen Fluoriden zur Osteoporosebehandlung einstimmig abgelehnt. Die Sitzung des Sachverständigenausschusses fand Corona-bedingt zum ersten Mal als virtuelles Treffen statt. Die Antragsteller konnten ihren Vorstoß im Rahmen einer kurzen Präsentation begründen. Und eine weitere Neuerung: Die betroffenen Firmen hatten Gelegenheit, zum Antrag und zum Gutachten des BfArM Stellung zu nehmen.

 

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