Mikrobiologie

Lactobacillus: Helfer für Leib und Seele Deniz Cicek-Görkem, 05.01.2018 14:47 Uhr

Berlin - 

Eingelegte Gurken, Joghurt, Sauerteigbrot: Lactobacillus hat vielerorts seine Finger im Spiel, wenn es ums Essen geht. Aber auch sonst ist der Keim nicht wegzudenken. Mikrobiologen der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) kürten kürzlich das Milchsäure produzierende Bakterium zur Mikrobe des Jahres 2018, um auf die Vielfalt der mikrobiologischen Welt aufmerksam zu machen.

Mit der Mikrobe des Jahres hat der Mensch täglich zu tun, beispielsweise als Sauerteigbrot mit Käse oder Salami zum Frühstück, in Form von Sauerkraut, roter Bete oder eingelegten Gurken. Lactobacillus-Arten gehören zu den Milchsäure-bildenden Bakterien und spielen auch in der Joghurt-Herstellung eine Rolle. Denn Lactobacillen setzen in der Milch vorhandene Lactose zu Lactat um, dadurch sinkt der pH-Wert. Ab einem bestimmten pH-Wert koagulieren die Caseinmicellen unter Bildung eines Netzwerkes und es entsteht Joghurt.

Lactobacillen übernehmen vielfältige Aufgaben in der Ernährung. Sie spalten mithilfe von β-Galactosidase Lactose in Galactose und Glucose und machen für den Menschen unverdauliche Kohlenhydrate zugänglich.

Die Funktion des Keimes als Milchsäure-Produzent wird auch biotechnologisch ausgenutzt. Da in Anwesenheit von Lactobacillus der pH-Wert stark sinkt, wird folglich die Vermehrung von schädlichen Bakterien verhindert und so die Haltbarkeit von Nahrungsmitteln verlängert. Etwa 5000 solcher Lactobacillus-fermentierter Lebensmittel sind weltweit bekannt. Jährlich werden mithilfe von Lactobacillen weltweit tonnenweise Milchsäure produziert und beispielsweise in der Lebensmittelindustrie als Lebensmittelzusatzstoff (E 270) eingesetzt.

Weiterhin findet die Hydroxycarbonsäure Verwendung in Kosmetika sowie Haushaltchemikalien. Mittels Polykondensationsreaktionen aus mehreren Milchsäure-Molekülen können Polylactide gebildet werden. Daraus gewonnene Materialien dienen als Biokunststoff. Vorteile derartiger Kunststoffe sind die hohe Festigkeit, die Transparenz der Folien und Behälter sowie die Thermoplastizität.

Ein großer Vorteil ist jedoch die besondere Vielfalt dieses Biokunststoffes, der wahlweise schnell biologisch abbaubar oder auch jahrelang funktionsfähig eingestellt werden kann. In der Medizintechnik werden resorbierbare Schrauben, Nägel, Implantate und Platten aus Polylactiden zur Stabilisierung von Knochenbrüchen verwendet. Auch resorbierbares Nahtmaterial ist schon lange im Gebrauch.

Lactobacillus ist ein grampositives, meist stäbchenförmiges Bakterium aus der Familie der Lactobacillaceae. Der Keim ist apathogen und wächst in Anwesenheit von Luftsauerstoff, benötigt aber keinen Sauerstoff für seinen Stoffwechsel. Er bekleidet insbesondere den Gastrointestinaltrakt und unterstützt das Verdauungs- und Immunsystem. Studien legen auch nahe, dass der Mikroorganismus das Wohlbefinden positiv beeinflusst. Außerdem ist er der Grund für das saure Milieu der Vaginalflora.

Der Keim begleitet den Menschen von Geburt an, denn bei einer Vaginalgeburt wird er auf das Neugeborene übertragen, Lactobacillus hat eine Schutzfunktion. Bei einem Kaiserschnitt kommt dagegen das Baby nicht mit den mütterlichen Bakterien in Berührung. Als Folge können sich pathogene Keime leichter im unreifen Säuglings-Darm eindringen und sich vermehren. In den USA und in Kanada ist es beispielsweise Praxis, dass Kaiserschnitt-Babys direkt nach der Geburt mit Bakterien der Mutter eingerieben werden. Kleinere Studien geben Hinweise, dass Lactobacillen die Wahrscheinlichkeit von Allergien und bestimmten Autoimmunerkrankungen verringern. Aussagekräftige Langzeitstudien zum sogenannten Vaginal Seeding fehlen jedoch bislang.

Pharmazeutisch finden die Milchsäure-Bakterien Einsatz in der Wiederherstellung der Vaginal- und Darmflora in Form von Zäpfchen, Kapseln oder Pulvern, beispielsweise von Vagisan Bio-Lacto (Dr. Wolff), Symbiolact A (Symbiopharm) oder Vagiflor (Chiesi). Oder auch zur diätetischen Behandlung der bakteriellen Mastitis (MamBiotic, Infectopharm) sowie der Anwendung bei Säuglingskoliken (Bigaia, Pädia).

Die Anwendung erfolgt je nach Beschwerdebild oral oder lokal. In der Regel beinhalten derartige Präparate gefriergetrocknete Lactobacillus-Arten mit einem definierten Gehalt an lebensfähigen Keimen. Diese Mikroorganismen sind in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Medizinprodukten oder als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke auf dem Markt.