Pflanzliche Medikamente sind immer gut und Vitamine können auch nicht schaden, denken manche Patienten. Doch sie unterschätzen damit die Gefahren, die mit dem Konsum solcher Präparate einhergehen. Apothekenpflichtige Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) können zu Interaktionen führen, aber auch erhebliche Auswirkungen auf Laborwerte haben und diese verfälschen. Nicht immer ist das bekannt oder präsent. Forscher fordern nun eine bessere Schulung – sowohl der Patienten, als auch des Fachpersonals.
Um herauszufinden, wie häufig diese Präparate von Patienten konsumiert werden und wie ihr Kenntnisstand sowie ihr Bewusstsein für die potenziellen Auswirkungen aussieht, haben kroatische Wissenschaftler um Professor Dr. Ana-Maria Šimundic von der Abteilung für Labordiagnostik an der Heiliggeistklinik in Zagreb die Daten von insgesamt 3600 Personen analysiert. An der Studie nahmen 18 europäische Länder teil. Pro Land wurden 200 Personen befragt, die in ambulanter Behandlung waren. Mit Ausnahme von vier Ländern wurden die Patienten immer vom Laborpersonal befragt. In Österreich und Slowenien füllten die Patienten das Formular selbst aus, während in Bosnien und Herzegowina und Litauen Befragungen gesammelt erhoben wurden.
In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die an das Labor zur Blutentnahme überwiesen wurden. 62 Prozent der Teilnehmer waren weiblich, mehr als zwei Drittel der Patienten waren im Alter von 26 und 65 Jahren. Die Forscher stellen nun im Fachjournal „Clinical Chemistry and Laboratory Medicine” (CCLM) ihre Ergebnisse vor. Demnach nehmen Frauen häufiger mindestens ein OTC-Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel ein als Männer (71 vs. 62 Prozent). Außerdem konsumieren Patienten im Alter von 46 bis 65 Jahren im Vergleich zu jüngeren und älteren Patienten am ehesten derartige Mittel. Bezogen auf die gesamte Gruppe nahmen mehr als zwei Drittel der Patienten regelmäßig mindestens einer dieser Präparate ein.
Die Häufigkeit des Konsums war in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich: In der Türkei gaben 94 Prozent der Befragten an, solche Arzneimittel oder NEM einzunehmen, in Spanien lag dieser Wert bei 69 Prozent. Das Schlusslicht bildete Portugal: Hier waren es nur 28 Prozent, die mindestens ein Mittel einnahmen. Zu den häufig konsumierten Mitteln gehörten Vitamine (38 Prozent), Mineralstoffe (34 Prozent), Cranberrysaft (20 Prozent), Acetylsalicylsäure (17 Prozent) und Omega-Fettsäuren (17 Prozent). Außerdem nahmen manche Personen Hyaluronsäure, Aroniasaft, Chiasamen, Echinacea, Proteine und Carnitin, Apfelessigkapseln, Knoblauchkapseln, Guarana, grünes Magma und einige andere Mittel ein. Die Häufigkeit dieser Präparate lag jedoch bei unter 1 Prozent.
Die Forscher geben zu bedenken, dass die Einnahme von OTC-Arzneimitteln und NEM leichte bis ernste Folgen haben kann. Zum Beispiel verursacht die Einnahme von Zimt zwölf Stunden vor der Blutentnahme oder sogar gleichzeitig mit der Blutentnahme eine signifikante Abnahme der Blutglucose und verbessert die Insulinsensitivität. Der Verzehr von rotem Reis und Grüntee-Extrakt wurde mit Leberenzymanomalien in Verbindung gebracht. Roter Reis hemmt auch die HMG-CoA-Reduktase und führt somit zu einer Senkung der Cholesterinkonzentration.
Cranberrysaft erhöht die Aktivität von Paraoxonase, senkt das prostataspezifische Antigen (PSA) und die Expression androgen-responsiver Gene wird reguliert. Grapefruit und Clementinensaft können bei Nierentransplantationspatienten aufgrund einer Enzyminduktion zu erhöhten Tacrolimus-Talspiegeln führen. Zudem verändern die Inhaltsstoffe von Ginkgo biloba und Sylibum marianum die Aktivität von mikrosomalen Enzymen und beeinflussen durch diesen Mechanismus den Stoffwechsel vieler Medikamente.
Auch aus dem Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel sind Effekte auf die Laborwerte bekannt. So werden beispielsweise die Aspartat-Aminotransferase (AST) und Alanin-Aminotransferase (ALT) erhöht durch Arzneistoffe wie Paracetamol, Diclofenac, Methotrexat, Allopurinol, Amiodaron, Amoxicillin/Clavulansäure, Phenytoin und Valproinsäure. Zu einer Konzentrationserhöhung der Alkalische Phosphatase (AP) kann es beispielsweise durch Allopurinol, orale Kontrazeptiva, Lithium oder Verapamil kommen. Carbamazepin, Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva und Phenytoin können die Werte für die Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT) erhöhen.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Patienten oft nicht bereit waren, Informationen zu eingenommen OTC-Präparaten und NEM an das Laborpersonal und den behandelnden Arzt weiterzugeben. Als Gründe dafür nennen sie mangelndes Verständnis der potenziellen Auswirkungen des Mittels, geringe Wahrnehmung potenzieller Risiken, negative Einstellung von medizinischem Fachpersonal zur Komplementärmedizin sowie mangelnde Sensibilisierung des Krankenhauspersonals zu den Folgen. Sie halten Schulungsmaßnahmen sowohl für Patienten als auch Fachpersonal für notwendig. Außerdem fordern sie, dass Ärzte und Labormitarbeiter mehr direkte Fragen über die Verwendung verschiedener Produkte im Bereich der Selbstmedikation stellen sollen. In den Wartebereichen der Praxen oder Kliniken könnten auch Info-Poster eine Lösung sein.
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