Seit mehr als einem Jahr sind Tropfen mit Levothyroxin defekt. Sanofi kann die flüssige Form von L-Thyroxin Henning nicht liefern; bei kleinen Kindern und bei Risikopatienten ist die Versorgung seitdem schwierig. Jetzt schließt Aristo diese Lücke.
Zum 15. Juni soll Eferox als Tropfen auf den Markt kommen. Sie enthalten 20 µg Levothyroxin pro Milliliter – das Konkurrenzprodukt von Sanofi ist mit 100 µg/ml fünfmal so stark konzentriert. Bei Aristo will man mit der niedrigeren Konzentration eine feinere Dosierung ermöglichen. Das Sanofi-Produkt konnte in Intervallen von 5 µg titriert werden; bei Eferox enthält ein Tropfen entsprechend 1 µg. Dazu gibt es eine Dosierspritze.
Stefan Koch, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Aristo, ist von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Produkts überzeugt. Er kann nicht verstehen, warum der Lieferengpass schon so lange andauert, denn nicht nur Kindern, sondern auch Patienten mit Herzerkrankungen seien auf genaue Dosierungen im niedrigen Bereich angewiesen.
Mit 56,49 Euro für die Flasche mit 100 ml ist der Newcomer deutlich teurer als das Produkt von Sanofi mit 19,84 Euro à 30 ml, das wegen der höheren Konzentration trotz der geringeren Menge länger angewendet werden kann. Wie L-Thyroxin muss Eferox in Tropfenform im Kühlschrank aufbewahrt werden, nach Anbruch kann die Packung acht statt sechs Wochen verwendet werden.
L-Thyroxin wird eingesetzt bei Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), benignem beziehungsweise nichttoxischer diffuser Struma, Hashimoto-Thyreoiditis und zur Begleittherapie einer Schilddrüsenüberfunktion, die erfolgreich mit Thyreostatika behandelt wird. Bei Schilddrüsentumoren wird das Hormon vor allem nach Operation eingesetzt, um ein erneutes Tumorwachstum zu verhindern. Außerdem ist der Einsatz als Diagnostikum möglich, um Fehlregulationen der Schilddrüsenfunktion rechtzeitig zu erkennen.
Bei Neugeborenen und Kindern mit angeborener Schilddrüsenunterfunktion ist ein rascher Hormonersatz besonders wichtig, um eine normale geistige und körperliche Entwicklung zu erzielen. Für diese Form der Schilddrüsenunterfunktion wird in den ersten drei Monaten der Behandlung eine tägliche Dosis von 10 bis 15 µg/kg Körpergewicht empfohlen.
Die Tropfen werden vor allem eingesetzt bei Patienten, bei denen eine Feineinstellung notwendig ist. Dazu gehören neben Neugeborenen und Säuglingen auch Patienten mit koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und tachykarden Herzrhythmusstörungen. Auch bei Schluckbeschwerden – gerade nach Operationen – und bestimmten Erkrankungen des Gastroinsteninaltrakts ist die flüssige Arzneiform eine Alternative.
Sanofi hat bereits seit September 2014 Probleme mit der Auslieferung. Damals musste der französische Konzern 13 Chargen zurückrufen; zwei Apotheken hatten bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) Ausflockungen gemeldet, beim Hersteller waren offenbar weitere Reklamationen eingegangen. Nach Untersuchungen war klar, dass es sich um ausgefallenen Wirkstoff und nicht um Verunreinigungen mit anderen Stoffen oder eine Kontamination mit Keimen handelte.
Seit dem Rückruf ist der Markt weitgehend leer gefegt. Sanofi hatte empfohlen, auf Einzelimporte auszuweichen oder Tabletten in den Dosierungen 25 bis 200 µg als Alternative einzusetzen. Bei Kindern, die eine niedrigere Dosierung benötigten, könnten die Tabletten mit der geringsten Wirkstärke halbiert werden. Bei Bedarf sei auch eine Suspendierung möglich. Wer unbedingt eine Lösung benötigt, hatte bislang das Nachsehen: Auch die Rezeptursubstanz war nicht lieferbar.
Bei Sanofi halten die Lieferprobleme an: Die Situation sei aber leider unverändert und kein Ende in Sicht, so eine Sprecherin. Man arbeite nach wie vor mit Hochdruck an einer Lösung.
Mit 7 Millionen Verordnungen liegt L-Thyroxin Henning – über alle Arzneiformen hinweg – laut Arzneiverordnungsreport auf Platz 6 unter den am häufigsten abgegebenen Arzneimitteln in der Apotheke. Das Schwesterprodukt L-Thyroxin Winthrop folgt mit 2 Millionen Verordnungen hinter L-Thyrox von Hexal mit 4,8 Millionen Verordnungen und Euthyrox von Merck mit 3,3 Millionen Verordnungen. Insgesamt werden jährlich knapp 1,2 Milliarden Tagestherapiedosen (DDD) verschrieben. Zusätzlich gibt es Kombinationsprodukte mit Iodid; Liothryronin spielt eine untergeordnete Rolle.
Levothyroxin gilt als Herausforderung für die Hersteller. Der Wirkstoff ist in seiner reinen Form stabil und gekühlt über mehrere Jahre haltbar. Als konjugiertes Tyrosin-Derivat ist das Molekül aber sauerstoff-, licht- und temperaturempfindlich. „Ich kenne keinen Wirkstoff, der so empfindlich ist wie Levothyroxin“, sagt Dr. Guido Zimmermann, technischer Direktor bei der Aristo-Tochter Lindopharm.
Auch Hexal hatte im vergangenen Jahr nach Rückrufen massive Lieferprobleme einräumen müssen. Engpässe sind auch bei den Tabletten ärgerlich, denn seit Dezember 2014 darf das Hormonpräparat nicht mehr ausgetauscht werden. Der Wirkstoff steht zusammen mit Digitoxin, β-Acetyldigoxin, Phenytoin, Ciclosporin, Tacrolimus und Digoxin auf der Aut-idem-Liste. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat diese Wirkstoffe von der Substitution ausgeschlossen – wegen der engen therapeutischen Breite. Seitdem hatte es auch schon Retaxationen gegeben, wenn Apotheken ohne neues Rezept den Hersteller gewechselt hatten.
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