Krebsmedikamente werden immer teurer, Krankenkassen müssen zum Teil mit mehreren hunderttausend Euro für die Behandlung eines Patienten aufkommen. Auch für das Solidarsystem eine zunehmende Bedrohung. Pharmakonzerne legen nun ein neues Konzept vor, demnach sollen sie nur Geld bekommen, wenn das Mittel beim Patienten anschlägt. Dafür soll der Patient mit seinen Daten bezahlen.
Hochpreisige Medikamenten stellen die Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Die Ausgaben etwa der neuen Krebsmittel stiegen 2011 von 104,5 Millionen Euro auf 270,5 Millionen im Jahr 2017. Was darf eine Lebensverlängerung eines krebskranken Menschen kosten und wer soll sie bezahlen? Darauf ging das ARD Magazin „Plusminus“ diese Woche ein. „Das kann unser Solidarsystem auf Dauer nicht finanzieren“, sagte Gesundheitsökonom Professor Dr. Jürgen Wasem, Vorsitzender der Schiedsstelle Arzneimittelpreise. „Wir stecken als Gesellschaft sicher in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir, dass alle Versicherten am Fortschritt teilhaben, das heißt natürlich auch neue, wertvolle Therapien bekommen sollen. Auf der anderen Seite sind viele Arzneimittel so teuer, dass wir uns fragen müssen, ob wir uns das leisten wollen.“
Zu Wort kam ein Patient: Peter Wohlfahrt leidet an schwarzem Hautkrebs und erhält eine maßgeschneiderte Therapie. Mit anderen Worten: Er wird mit seinen eigenen Zellen behandelt, die zuvor biotechnologisch aufbereitet wurden und gegen die Tumorzellen in seinem Körper wirken. Doch das hat seinen Preis: Ein Infusionsbeutel kostet die Krankenkasse 5000 Euro. Da er alle drei Wochen das Medikament benötigt, kommt ein gewaltiger Betrag zusammen. „In der Summe wenig im Vergleich zu den neuen Medikamenten, die jetzt auf den Markt drängen“, heißt es in der Sendung. Denn Kymriah, das neue Mittel von Novartis, soll die Kassen noch ärmer machen, denn eine Behandlung soll voraussichtlich 360.000 Euro kosten. Und die Wettbewerber schlafen nicht: „Das Konkurrenzprodukt von Gilead wird mit voraussichtlich 300.000 Euro zu Buche schlagen.“ Beide Medikamente sollen in Deutschland ab Herbst zugelassen werden. „Fast monatlich kommen neue hinzu, mit Preisen, die alles sprengen, was bisher in der Medizin üblich war“, so der Beitrag.
Dass sich die Kostenfrage auch in den Kliniken stellt, bestätigt Wohlfahrts Ärztin Jessica Hassel. Sie ist als Onkologin am Nationalen Tumorzentrum in Heidelberg tätig. „Natürlich gibt man keine wahnsinnig teure Therapie, um vier Monate länger zu leben. Das macht keinen Sinn. Für mich liegt der Nutzen darin, einem Patienten eine langfristige Tumorkontrolle mit hoher Lebensqualität zu ermöglichen.“ Ihr Chef findet allerdings, dass das Thema Arzneimittelpreise nicht in den Klinikalltag gehört: „Wir versuchen grundsätzlich immer wirtschaftlich zu denken, aber was ich nicht tun kann: eine bestimmte Prognose – eine Lebensverlängerung in Geld aufzuwiegen. Es ist eine gesundheitspolitische Diskussion, die wir selbst nicht führen können – und die wir auch nicht entscheiden können“, so Professor Dr. Dirk Jäger.
Ein Lösungsvorschlag kommt von einigen Pharmakonzerne. Sinngemäß: „Bezahlt uns nur bei Erfolg in der Therapie.“ Firma Roche erklärte Plusminus auf Anfrage: „Bei Roche halten wir das Konzept der leistungsabhängigen Vergütung für einen geeigneten Ansatz.“ Novartis antwortete: „Novartis ist eines der ersten Unternehmen, das das Feld Kosten-Nutzen basierter Verträge betritt.“ Eine gute Idee, findet Gesundheitsökonom Wasem: „Ich denke, das macht Sinn, dass wir, wenn Arzneimittel wirken, hohe Preise zahlen – und wenn sie nicht wirken, eben kleine Preise dafür zahlen.
Warum kosten Krebsmedikamente so viel? „Sie sind deswegen so teuer, weil wir hohe Entwicklungskosten haben, und diese Produkte individuell hergestellt werden. Das heißt, für jeden Patient einzeln, in sehr aufwendigen, biotechnischen Verfahren“, erklärte Dr. Iris Bürger, Leiterin des Forschungsteams bei Miltenyi Biotec. Der medizinische Bedarf sei sehr hoch, dem gegenüber stünde der hohe Preis, den die Gesellschaft nicht tragen könnte. „Die Industrie muss sich da mit Modellen auf die Krankenkassen zu bewegen.“
Und das passiere gerade: „Wir haben die Möglichkeit mit einem direkten Vertrag mit den Herstellern Konditionen zu erreichen, die für beide Seiten zufriedenstellend sind. Was man nicht vergessen darf, wir hatten in der Vergangenheit schon so teure Medikamente, dass diese nicht angewandt wurden. Insofern hat der Hersteller durchaus ein Interesse, in einer Preisregion zu sein, die hinterher auch dazu führt, dass das Medikament genutzt wird“, so Dr. Detlev Parow, Leiter Abteilung Arznei-/Hilfsmittel bei der DAK. Das Ganze funktioniere allerdings nur, wenn die Daten ausgetauscht werden, und zwar zwischen Patient, Arzt und Kasse und dem Hersteller. Denn die Firmen würden darin auch einen Ansatz sehen, die Datenlage zu verbessern. Patient Wohlfahrt kommentiert: „Ich habe von Anfang an auch meine ganzen Werte zu Verfügung gestellt, um letztendlich auch anderen Menschen zu helfen.“
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