Alternativmedizin

Krebstherapie: Aprikosenkerne statt Chemo? Deniz Cicek-Görkem, 08.08.2018 11:54 Uhr

Statt Chemo: Alternativmediziner schwören auf die Wirkung von Aprikosenkernen als Prophylaxe und Therapie von Krebserkrankungen. Foto: Pixabay
Berlin - 

Krebs besiegen mit bitteren Aprikosenkernen? Wenn es nach diversen Gesundheitsseiten geht, sind die Kerne ein Wundermittel. Auch gibt es vermeintliche Anwender, die den Gebrauch zur Prophylaxe gegen Tumorerkrankungen anpriesen. Was steckt dahinter?

Bittere Aprikosenkerne enthalten Amygdalin, ein cyanogenes Glykosid, das auch in Apfelkernen und Bittermandeln vorkommt. Es wird auch fälschlicherweise Vitamin B17 genannt. Allerdings ist diese Bezeichnung irreführend, denn die Substanz ist für den menschlichen Stoffwechsel kein essenzieller Stoff. Amygdalin wird in der Alternativmedizin als das Krebsmittel schlechthin angepriesen. Die Anwendung kann laut naturheilkundlicher Lehre peroral oder intravenös erfolgen. Als „Krebsprophylaxe“ soll die betroffene Person etwa einen Kern pro fünf Kilo Körpergewicht einnehmen. Bei Krebspatienten sollen es etwa 50 Stück sein, speziell Brustkrebspatientinnen könnten es 80 Kerne sein.

Einen wissenschaftlich fundierten Nachweis für die therapeutischen Wirksamkeit gibt es nicht. Vielmehr ist die Applikation mit Risiken verbunden, denn Amygdalin wird enzymatisch in Benzaldehyd, Glucose und Blausäure (HCN) gespalten. Letzteres hemmt die Atmungskette; in der Folge kann es zu einer Cyanidvergiftung kommen. Bei kleinen Dosen kann der Körper die Cyanid-Ionen mithilfe der Rhodanase zu Rhodanid entgiften und dann ausscheiden.

Bei einer Akutvergiftung reichen die körpereigenen Detoxifikationsmechanismen jedoch nicht aus. In solchen Fällen werden Antidote eingesetzt. Zu den Symptomen einer Intoxikation gehören unter anderem Atemnot, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Krämpfe und Ohnmacht. Im schlimmsten Fall kann die Einnahme tödlich enden.

Welchen molekularen Mechanismus postulieren die Freunde dieser „Therapie“? Eine Gesundheitswebsite schreibt beispielsweise: „Krebszellen lieben Zucker. Neben Cyanid und Benzaldehyd stecken im Amygdalin auch zwei Glucose-Moleküle. Kaum erscheint das Amygdalin im Körper, erkennen die Krebszellen den Zucker darin und wollen ihn haben. Also bauen sie das Amygdalin auseinander, um an die beiden Zucker-Moleküle zu gelangen. Dabei werden jedoch auch das Cyanid und das Benzaldehyd frei, die jetzt zum Ersticken der Krebszelle führen.“ Studien widerlegen diese Behauptung.

Apotheken können bittere Aprikosenkerne als Nahrungsergänzungsmittel über den Großhandel beziehen. Laut EU-Vorschrift beträgt die Dosierempfehlung bei Erwachsenen ein bis zwei Kerne pro Tag. Die von Alternativmedizinern empfohlene Dosierung wird in dieser Hinsicht um das Vielfache überschritten. Als Reinsubstanz zählt Amygdalin zu den bedenklichen Rezepturarzneimitteln.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) rät von der Abgabe Amygdalin-haltiger ab und warnt vor einem „Risiko von Cyanid-Intoxikationen bei mangelnder Wirksamkeit“. Im September 2014 veröffentlichte das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Artikel, in dem es die Ansicht vertritt, dass amygdalinhaltige Arzneimittel als bedenklich einzustufen sind. Im Dezember 2014 riet die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ebenfalls von der Anwendung von amygdalinhaltigen Fertigarzneimitteln und anderen Produkten ab.