Halluzinationen, Wahn und kognitive Einbußen: Zur Reduktion der Symptome von Schizophrenie werden derzeit Antipsychotika eingesetzt. Aktuelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Erkrankung mit potenziell neuen Methoden diagnostiziert werden und so individualisierte Therapieansätze möglich sein können. Dabei geht es um die Messung und medikamentöse Beeinflussung eines Proteins, das bei der Genregulation eine Rolle spielt. Die Studienergebnisse des internationalen Forscherteams unter Koordination des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) sowie weiterer Partner aus Magdeburg und München wurden im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht.
In einer aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler Mäuse mit Verhaltensstörungen. Diese wurden nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und damit einer Stresssituation ausgesetzt. Später bemerkte man bei diesen Tieren Schizophrenie-ähnliche Symptome. Auslöser dafür ist laut dem Forscherteam eine erhöhte Konzentration des Enzyms Histon-Deacetylase 1 (HDAC1) im präfrontalen Kortex. Auch die Blutwerte zeigten erhöhte Werte an.
Des Weiteren wurden Menschen untersucht, die an dieser Krankheit leiden. Die Schizophrenie beruht auf neuronalen Fehlregulierungen, die zu Störungen der Gehirnaktivität und folglich zu verschiedenen Symptomen wie Halluzinationen, Wahn und kognitive Einbußen führen können. Die Studie mit fast 100 Erwachsenen kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Im Rahmen einer Befragung zur Kindheit und Jugend kam heraus, dass die Patienten in jungen Jahren emotional vernachlässigt worden waren oder andere kritische Lebensumstände erlebt hatten. Untersuchungen zeigten auch bei diesen Menschen eine erhöhte HDAC1-Konzentration im Blut an.
„Eine Schizophrenie, die mit Belastungen in der Kindheit zusammenhängt, geht mit einer gestörten Genregulation einher“, sagt Professor Dr. André Fischer, Sprecher des DZNE in Göttingen und Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. „Wir sehen zudem, dass HDAC1 eine zentrale Rolle dabei spielt“, so Fischer.
„Die Konzentration von HDAC1 im Blut könnte möglicherweise als Biomarker dienen“, fasst der Professor zusammen. Mithilfe des Markers könnten Patienten mit Schizophrenie aufgespürt werden, die in den frühen Lebensjahren belastende Erlebnisse hatten. „Bei diesen Personen sind gängige Behandlungen nicht besonders wirksam“, sagt Fischer. Die Messung der HDAC1-Werte könne dazu genutzt werden, die Reaktion des Kranken auf therapeutische Maßnahmen zu kontrollieren.
In einem weiteren Schritt wurde bei den untersuchten Mäusen Entinostat, ein Histon-Deacetylase 1-Hemmer, eingesetzt. Diese Behandlung normalisierte weitgehend die Genexpression. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Medikamente, die auf die Genaktivität einwirken, die Symptome einer Schizophrenie möglicherweise lindern können“, so Fischer. Molekularchemisch betrachtet handelt es sich bei diesem Arzneistoff um ein Benzamid-Derivat mit antineoplastischen Wirkungen. Derzeit wird die Substanz im Hinblick auf die Anwendung als Zytostatikum klinisch untersucht. Die Studie befindet sich in der Phase II.
Histon-Deacetylasen (HDAC) sind Moleküle, die Histone modifizieren. Diese Enzyme regeln die Synthese der RNA und sind so an der Genexpression beteiligt. Aber auch bei den epigenetischen Veränderungen spielen sie eine Rolle. Zudem sind sie in der Kontrolle des Zellzyklus und der Entwicklung des Organismus involviert.
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