Rezeptur statt Fertigarzneimittel

Krebsmedikament: Apotheker wehrt sich gegen Pharmafirma

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Berlin -

Immer wieder springen Apotheken in die Bresche, wenn Patientinnen und Patienten einen besonderen Therapiebedarf haben. Ein Inhaber aus Hessen stellt auf ärztliche Verordnung hin zwei neuartige Tumorpräparate her; selbst den Wirkstoff lässt er synthetisieren. Eine Pharmafirma aus den USA versucht jetzt, den unliebsamen Konkurrenten mit einer juristischen Breitseite zu stoppen. Doch der Pharmazeut wehrt sich hartnäckig. Der Fall ist spannend wie eine Netflix-Serie.

Grundsätzlich soll es in der Versorgung von Patientinnen und Patienten einen Vorrang für Fertigarzneimittel geben, doch im konkreten Fall hat der US-Hersteller Chimerix noch nicht einmal eine Zulassung für seine Wirkstoffe ONC201 und ONC206, die sich in Phase-III beziehungsweise Phase-I befinden. Obwohl die Therapie für Betroffene eine letzte Hoffnung ist, wollte das Unternehmen einer Apotheke aus Hessen verbieten lassen, die Substanzen als Rezepturarzneimittel zu verarbeiten.

Bei den Wirkstoffen handelt es sich um oral anzuwendende Antagonisten des Dopaminrezeptors D2 (DRD2); als Agonisten der caseinolytischen Protease-proteolytischen Untereinheit (ClpP) leiten sie außerdem gezielt die Apoptose von Tumorzellen ein. Speziell werden die auch als Imipridone bezeichneten Substanzen für die Behandlung von Tumoren des zentralen Nervensystems mit H3-K27M-Mutationen entwickelt, darunter Gliome. Die klinischen Tests laufen laut Hersteller seit Ende 2023 an verschiedenen Kliniken und neuroonkologischen Zentren.

Bereits seit mehr als fünf Jahren wird ONC201 aber schon an schwerkranke Patientinnen und Patienten verordnet; die Kosten müssen in der Regel selbst getragen oder über Spenden finanziert werden. Auch ein Arzt aus Königstein im Taunus stellt entsprechende Rezepte aus, die dann in der hiesigen Burg-Apotheke eingelöst werden können. Inhaber Uwe-Bernd Rose beschäftigt sich seit jeher mit Lösungen für speziellen Versorgungsbedarf; zuletzt kämpfte er um die Verordnungsfähigkeit der von ihm entwickelten Infusionsbeutel Eurotubes.

Aktionär als Feind

Der Streit um ONC201 habe das Zeug für eine Netflix-Serie, sagt Rose. Denn der Wirkstoff, der in den 1970er-Jahren von Boehringer entdeckt und ursprünglich als Psychopharmakon entwickelt wurde, dann aber in Studien keine Wirkung zeigte, wird seit mehr als zehn Jahren von der US-Firma Oncoceutics für den Einsatz bei Tumoren erforscht. Deren früherer Chef ist ein Freund von Rose; der Apotheker aus dem Taunus ist nach eigenen Angaben sogar als Aktionär am Unternehmen beteiligt.

Um noch während der Entwicklungsphase insbesondere Kindern eine zusätzliche Therapieoption zu verschaffen, gab es laut Rose seit 2015 eine Kooperationsvereinbarung: Der Apotheker durfte den Wirkstoff als Rezeptur verarbeiten; er war es auch, der den Arzt gewinnen konnte. Selbst aus dem Ausland kommen Patientinnen und Patienten in die Praxis, um sich genetisch testen und nach Möglichkeit mit der neuartigen Substanz behandeln zu lassen.

Sogar den Wirkstoff stellt er selbst her, und zwar über sein Unternehmen Synverdis mit Sitz in Heidelberg. Durch Umkristallisierung und Vakuumtrocknung wird der Wirkstoff in der Apotheke gereinigt und aufbereitet, bevor er dann in Kapselform abgegeben wird.

Die Apotheke stellt die Kapseln als Rezeptur her.Foto: privat

Juristische Breitseite

Doch der US-Hersteller Chimerix, der Oncoceutics im Sommer 2021 übernommen hatte, meldete plötzlich Einspruch an. Um den Apotheker zu stoppen, gingen die Anwälte auf mehreren Wegen juristisch gegen die Rezeptur vor.

Arzneimittelrecht

Zunächst wurde versucht, die Herstellung unter Verweis auf das Arzneimittelrecht zu stoppen. Hintergrund ist, dass das Rezepturprivileg – also die Befreiung von der Zulassungspflicht – nur dann gilt, wenn wesentliche Herstellungsschritte in der Apotheke stattfinden. Das Landgericht Frankfurt hatte 2017 die Abfüllung von Idebenon in Kapseln kritisch gesehen.

Zwar konnte Chimerix im aktuellen Fall beim selben Gericht eine einstweilige Verfügung gegen Synverdis erwirken, nicht aber gegen die Apotheke. Rose hatte im Prozess ausrichten lassen, dass mittlerweile in der Apotheke vor der Abfüllung aus der Base das lösliche Salz hergestellt wird. Der Fall liegt jetzt beim Oberlandesgericht (OLG).

Wettbewerbsrecht

Dort ist man auf einer anderen Ebene schon einen Schritt weiter. Das OLG hob eine einstweilige Verfügung, die Chimerix unter Verweis auf ein angeblich bestehendes Wettbewerbsverhältnis erwirkt hatte. Ohne Zulassung sei der Hersteller weit davon entfernt, sein eigenes Produkt auf den Markt bringen zu können, heißt es im jüngsten Urteil. Laut § 8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) stehe der Klageweg aber nur einem Mitbewerber offen, „der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt“.

Umsonst hatten die Anwälte des Herstellers versichert, dass die Prüfzentren bereits in erheblichem Umfang beliefert würden und dass man auch beabsichtigte, unverzüglich eine Vergütung für jene Belieferung einzufordern. Laut OLG ist aber das Prüfverfahren nur als „Vorbereitungsphase für den eigentlich beabsichtigten Eintritt auf dem Arzneimittelmarkt“ zu werten, sodass noch nicht von einem echten Wettbewerbsverhältnis auszugehen sei.

Auch die Ankündigung, ab sofort Anfragen von Patienten beziehungsweise deren Apotheken durch entgeltliche Belieferung von ONC201 und ONC206 zu bedienen, ließ das OLG nicht gelten. Denn diese Zusage wurde unter dem Vorbehalt abgegeben, dass dies „nach medizinischer wie rechtlicher Prüfung (insbesondere regulatorischer Zulässigkeit) und Beratung zulässig ist“. Laut Rose wäre der Verkauf von Studienware ohnehin eine Straftat.

Patentrecht

Und dann hat Chimerix noch versucht, den Apotheker wegen Verstoßes gegen bestehende Patentrechte vor dem OLG Düsseldorf zu belangen. Doch der Schuss könnte nach hinten los gehen, denn Rose und seine Anwälte witterten ihre Chance, zum Gegenangriff überzugehen. Vor dem Patentgericht in München reichten sie Klage ein, das europäische Patent für nichtig erklären zu lassen. Zwar ist der Verhandlungstermin erst für Dezember anberaumt, doch in einem Hinweisbeschluss hat das Gericht laut Rose schon durchblicken lassen, dass es tatsächlich erhebliche Zweifel an der Position des Herstellers hat.

Im schlimmsten Fall wäre der Wirkstoff dann ab dem Tag der Zulassung ohne Schutz und damit dem generischen Wettbewerb ausgeliefert. Das hätte sich der Hersteller dann selbst zuzuschreiben, sagt Rose. Dass er als Aktionär von Chimerix dann ebenfalls betroffen wäre, lässt ihn vorerst kalt. Denn erst Anfang der Woche wurde das Unternehmen für knapp eine Milliarde US-Dollar durch Jazz Pharmaceuticals übernommen. Vorerst also liegt Rose mit einem Paket weit im Plus.

Mut zur Rezeptur!

Vor allem aber hat die Räuberpistole einen ernsten Kern, den Rose trotz aller sportlichen Freude an der Auseinandersetzung von David gegen Goliath nicht aus den Augen verloren hat. Denn anders als behauptet laufe das Studienprogramm zu ONC201 allenfalls schleppend; schwerkranken Patienten werde die Therapie damit weiter vorenthalten, sagt er.

Aus diesem Grund ist ihm sein eigener Einsatz als Apotheker so wichtig. Und er appelliert an die Kolleginnen und Kollegen, sich ebenfalls nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Unter dem Namen Imipridon sei ONC201 seit 2021 in der Taxe gelistet – laut Rose kann jede Apotheke die Substanz bestellen und auf ärztliche Verordnung hin herstellen.

Patentrechtlich sei man in der Rezeptur immer auf der sicheren Seite. In § 11 Patentgesetz sei eindeutig geregelt, dass die Wirkung von Patenten sich nicht auf „die unmittelbare Einzelzubereitung von Arzneimitteln in Apotheken auf Grund ärztlicher Verordnung sowie auf Handlungen, welche die auf diese Weise zubereiteten Arzneimittel betreffen“ beziehe. Der Mut zur Rezeptur sei nie falsch – vor allem, wenn man Patientinnen und Patienten helfen könne.

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