Sildenafil fördert Hautkrebs Dr. Kerstin Neumann, 15.03.2016 13:30 Uhr
Sildenafil kann das Wachstum von Hauttumoren anregen. Das haben Forscher der Universität Tübingen herausgefunden. Die Wissenschaftler vom Institut für Biochemie konnten in Zellversuchen nachweisen, dass Sildenafil die Aktivität des Botenstoffes cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP) stimuliert. Dieses induziert das Wachstum von bereits bestehenden bösartigen Melanomen.
cGMP spielt in vielen komplexen Stoffwechselwegen eine wichtige Rolle. Das Molekül ist als Second Messenger in viele Signalkaskaden von Zellen der Blutgefäße, des Herzens und von Nervenzellen eingebunden. Seine genaue Wirkung auf erwünschte und unerwünschte Wachstumsprozesse im Körper ist noch weitgehend unbekannt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtete daher 2013 in Tübingen eine Forschergruppe speziell zur Untersuchung von cGMP-Signalwegen ein.
Die Wissenschaftler haben nun entdeckt, dass auch Zellen des malignen Melanoms den cGMP-Signalweg für ihr Wachstum nutzen. Normalerweise sorgt in der Zelle das Enzym Phosphodiesterase 5 (PDE5) dafür, dass neu gebildetes cGMP kontinuierlich abgebaut wird. Sildenafil wiederum hemmt die Wirkung von PDE5 – auf diese Weise tritt auch der gewünschte Effekt bei Erektionsstörungen ein. In der Zelle wirkt PDE5 also wie eine Bremse auf cGMP, so die Forscher. Die Einnahme von Sildenafil schalte diese Bremse gewissermaßen aus – cGMP ist plötzlich in hoher Konzentration präsent. Die Folge: Ein stärkeres Wachstum der Melanome.
Dieser biochemische Mechanismus könnte erklären, warum Sildenafil das Melanomrisiko bei Männern erhöht. Ein möglicher Zusammenhang zwischen der Einnahme von Sildenafil und Krebs wird in der Forschung seit mehreren Jahren diskutiert. Bei der Auswertung einer Langzeitstudie an rund 15.000 Männern in den USA hatte sich 2014 der Verdacht ergeben, dass die Einnahme von Sildenafil mit einem erhöhten Risiko für bösartige Melanome verbunden ist. Dieser Verdacht erhärtete sich 2015 durch eine weitere Studie an etwa 24.000 Männern aus Schweden.
Die beiden Untersuchungen konnten jedoch nicht abschließend klären, ob das erhöhte Melanomrisiko tatsächlich auf eine biologische Wirkung des Arzneimittels auf die Tumorzellen zurückzuführen ist. Nicht ausgeschlossen wurde, dass das vermehrte Auftreten von Hautkrebs bei Männern, die Sildenafil einnehmen, auch eine Folge ihres Lebensstils sein könnte, der durch zahlreiche Urlaube mit intensiven Sonnenbädern oder Besuche in Solarien geprägt war.
Es bestehe allerdings kein Anlass, Männern generell von der gelegentlichen Einnahme von PDE5-Hemmern zur Behandlung von Erektionsstörungen abzuraten, betonen die Tübinger Biochemiker. Zunächst seien weitere Untersuchungen notwendig, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen abzuschätzen. Es sei aber eher unwahrscheinlich, dass der Wirkstoff die Neubildung von Melanomzellen begünstige. Allerdings bestehe der Verdacht, dass Sildenafil und möglicherweise auch andere PDE5-Hemmer das Fortschreiten bereits vorhandener Melanome verstärken könnten. Das sei vor allem dann zu befürchten, wenn die Medikamente dauerhaft in hohen Dosen eingenommen würden.
Melanompatienten sollten indes die Verwendung der Medikamente unbedingt mit ihren Ärzten abklären, so die Forscher. Viel wichtiger sei es allerdings, das Melanomrisiko zu reduzieren, indem die Sonnenexposition vermindert und wirksamer UV-Schutz verwendet werde. Auf andere Tumorarten, zum Beispiel auf bestimmte Darmtumore, könnte der Viagra-Wirkstoff möglicherweise positive Effekte haben. Darauf deuten Ergebnisse anderer Forschungsgruppen hin.