Koralle: Waffe gegen Brustkrebs? Deniz Cicek-Görkem, 06.10.2017 12:34 Uhr
Eine Wissenschaftlerin der Technischen Hochschule (TH) Köln hat in Zusammenarbeit mit zwei weiteren Kollegen einen Inhaltsstoff der Weichkoralle Pseudopterogorgia elisabthae bei metastasierenden Brustkrebszellen erfolgreich getestet. Künftig könnte die Substanz bei Patientinnen eingesetzt werden, die an einem tripel-negativen Mammakarzinom (TNBC) leiden.
Etwa 15 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs sind an der aggresiven Unterform erkrankt. Charakteristisch für das dreifach-negative Mammakarzinom ist, dass Gene für den Östrogen-, Progesteron- sowie HER2/neu-Rezeptoren nicht exprimiert werden. Das erschwert die medikamentöse Therapie, weil viele der bisher auf dem Markt befindlichen Arzneistoffe nicht eingesetzt werden können. Patientiennen haben daher eine nur eine geringe Aussicht auf Heilung.
Dies könnte sich möglicherweise nach weiteren Studien ändern: Julia Sperlich von der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln hat im Rahmen ihrer Dissertation Experimente mit dem Korallenextrakt Pseudopterosin durchgeführt, das aus den Diterpen-Glykosiden Pseudopterosin A bis D (PsA-D) zusammengesetzt ist. Untersucht wurde die Wirkung auf metastasierende tripel-negative Brustkrebszellen; die Proben hat die Forscherin vom Department of Chemistry der Prince Edward Island University in Kanada im Rahmen einer Forschungskooperation zur Verfügung gestellt bekommen.
Sie hat herausgefunden, dass Krebszellen und die an ihnen angrenzenden Immunzellen über Entzündungsmediatoren (Zytokine) miteinander kommunizieren. „Die Immunzellen haben zwei Seiten: Im Idealfall unterdrücken sie das Tumorwachstum. Unter bestimmten Umständen können sie den Krebs aber auch zu mehr Wachstum anregen“, erläutert Sperlich. Der marine Wirkstoff blockierte in der präklinischen Studie die zelluläre Kommunikation und hinderte den Tumor daran, Metastasen zu bilden.
Molekular hemmte die Substanz den Transkriptionsfaktor NF-κB, wodurch auch die Produktion des pro-inflammatorischen Interleukine IL-6, TNFα und MCP-1 heruntergefahren wurde. Pseudopterosin reduzierte außerdem die Expression der Zytokine und führte zu einer Translokation des Glucocorticoid-Rezeptors (GR). Nach dem Gen-Knock-down konnte das Diterpen-Glykosid die Zytokin-Expression nicht mehr blockieren. „Wir vermuten, dass Pseudopterosin NF-κB inhibiert, in dem es den GR in tripel-negativen Brustkrebszellen aktiviert“, schreiben die Wissenschaftler. „Normalerweise ist GR über die ganze Zelle verteilt. In Gegenwart des Naturstoffs wandert der Rezeptor in den Zellkern und unterbindet somit die Ausschüttung der Entzündungsbotenstoffe", sagt Professorin Dr. Nicole Teusch, Leiterin des Forschungsprojekts „Neue Wirkstoffe aus dem Meer“ am Campus Leverkusen. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal „Marine Drugs“ veröffentlicht.
„Die Untersuchungen haben erstmals den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus der antientzündlichen Wirkung von Pseudopterosin aufgedeckt. Sie konnten außerdem zeigen, dass die Entzündungsbotenstoffe, durch die die Tumorzellen mit den benachbarten Immunzellen kommunizieren, in Gegenwart des Naturstoffs blockiert werden“, so Teusch. Anhand der Ergebnisse gebe es nun eine konkrete Vorstellung davon, welchen Angriffspunkt der Naturstoff in der Körperzelle treffe.
Zur Gewinnung des Inhaltsstoffs müssen die Korallen bislang aus 25 bis 30 Meter Meerestiefe geerntet werden. „Um diesen massiven Eingriff in das Ökosystem zu vermeiden, soll der Stoff im Labor chemisch vereinfacht nachgebaut und gleichzeitig seine Wirksamkeit erhöht werden“, erläutert Sperlich. Neben der chemischen Entwicklung vereinfachter Wirkstoffe seien Kooperationen mit Kliniken geplant, um pharmakologische Charakterisierungen mit Patientenmaterial auf den Weg zu bringen. „Zurzeit sind wir aktiv auf der Suche nach Partnern, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind“, sagt Teusch.