Kommentar

Zu Nebenwirkungen fragen Sie nicht die BamS

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Berlin -

Zu erwarten, dass die „Bild am Sonntag“ eine evidenzbasierte Beratung durch einen renommierten Apotheker anbietet, ist vermessen – weder Konzept noch Format der Zeitung sind dafür geeignet. Kein Apotheker erwartet, dass in einem Boulevardblatt eine kompetente Beratung zu Arzneimitteln stattfindet. Aber was ist mit der Leserschaft? Gefährlich wird es, wenn man eigentlich fundiertes Gesundheitswissen zu stark gekürzt an die Leserschaft bringt. Ein Kommentar von Dr. Kerstin Neumann.

Eines muss man Professor Gerd Glaeske lassen: Er weiß sich zu inszenieren und lässt sich auch von der geballten Wut der Apothekerschaft nicht abhalten. Wer es bis in das auflagenstärkste „Nachrichtenblatt“ Deutschlands schafft, dem ist Ruhm gewiss – positiv wie negativ.

Man sollte dabei nicht unter den Tisch fallen lassen: Glaeske ist Apotheker und er präsentiert für das Volksauge eine hohe pharmazeutische Kompetenz, ob uns anderen Apothekern das nun gefällt oder nicht. Nicht wenige in der Offizin werden sich in den nächsten Tagen mit den Aussagen des Herrn Professor konfrontiert sehen.

Und das ist das erste Problem: Wie kann pharmazeutische Fachkompetenz über die „Bild“ verbreitet werden? Wissen kompakt und gut verdaulich zu präsentieren, ist in der heutigen Welt der schnellen Nachrichten und des Informationsüberflusses unerlässlich. Kein Patient liest seitenlange Abhandlungen über die Wirkung und Nebenwirkungen von Arzneimitteln, die er möglicherweise demnächst benötigt. Schon im Akutfall werden die Gebrauchsinformationen nur von der ängstlichen Sorte der Kunden studiert. Ergo: Kurz und knapp gewinnt.

Aber: Gesundheit ist nun einmal kein Gut wie jedes andere. Es stellt sich die Frage, wie kurz und knapp Arzneimittelinformationen sein dürfen. Eine Auflistung von Medikamenten zu verschiedenen Indikationen, jeweils mit durchschnittlich zwei Dutzend Worten an Hinweisen – das kann nicht gut gehen.

Spannend ist schon die Datenbasis der Liste: Maßgeblich sind die Indikationshitliste der ABDA, Statistiken zu den meistverkauften Arzneimitteln sowie frühere Bewertungen von Stiftung Warentest. Die 100 Arzneimittel schrumpfen dabei schnell zu wenigen Dutzend Wirkstoffen zusammen, wenn man sich die Liste genauer ansieht. Eine Auflistung verschiedener Hersteller ist aber noch lange keine pharmazeutische Fachkompetenz, sondern erscheint wie eine Gefälligkeit gegenüber den Kunden, um ihnen zu zeigen, wie sie Geld sparen können.

Schaut man sich Glaeskes Liste mit pharmazeutischem Sachverstand an, bleiben bei der Auswahl erhebliche Zweifel: Was haben Empfehlungen zu Thrombose-Medikamenten hier zu suchen? Das ASS 100 ein OTC-Arzneimittel ist, bedeutet noch lange nicht, dass die Erkrankung ohne ärztliche Betreuung behandelbar ist. Der Hinweis auf diesen Tatbestand steht zwar im Kleingedruckten über der Auflistung – aber auch Glaeske muss wissen, dass solche Hinweise eher über- als gelesen werden.

Auch andere Fragen tun sich auf: Sollte man die gängigen Schmerzmittel ASS, Ibuprofen und Paracetamol unkommentiert nebeneinander stellen? Es gibt gute Gründe, individuell abzuwägen und dem Patienten bei der Wahl des richtigen Mittels behilflich zu sein. Zumindest ein solcher Hinweis gehört als Minimum an den Beginn einer Aufzählung der Analgetika.

Warum wird Dextrometorphan als einziges Hustenmittel genannt, aber kein einziger Hustenlöser? Besteht nicht die Gefahr, dass der geneigte Bild-Leser beim nächsten festsitzenden Husten auf den Hustenstiller zurückgreift und seine Beschwerden damit verschlimmert? Ist die Verwendung von Sennesblättern bei Verstopfung heute noch angebracht? Da hilft auch der Hinweis auf die kurzfristige Anwendung nicht weiter.

Die 100 wichtigsten OTC-Arzneimittel auszuwählen, ist sicher keine einfache Aufgabe. Zehn Apotheker kämen dabei sicher zu zehn unterschiedlichen Listen. Und immer wird es Kritiker geben, die die Liste als fehlerhaft, unvollständig oder sogar gefährlich bewerten werden. Das führt zu einer anderen Frage: Reicht für den Patienten eine einfache Auflistung von OTC-Arzneimitteln aus, um eine sichere und richtige Verwendung zu gewährleisten? Natürlich nicht.

Nicht umsonst herrscht in Deutschland für den Großteil der Arzneimittel die Apothekenpflicht, damit der Patient in der Apotheke beraten wird, und zwar individuell. Die Liste in einer Boulevardzeitung kann allenfalls als Richtlinie für die günstigsten Arzneimittel gelten, nicht aber für die wirksamsten, sichersten oder hilfreichsten. Sie birgt aber die Gefahr, in der Offizin ohne Not das Vertrauen zu erschüttern. Der Kaufmann Apotheker sollte nicht Gefahr laufen, den Heilberufler zu vergessen. Schlimmstenfalls sehen wir sonst Paracetamol & Co. in Zukunft im Supermarkt.

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