Kolloidales Silber: Wundermittel oder Schwachsinn? Deniz Cicek-Görkem, 18.06.2018 14:34 Uhr
In sozialen Netzwerken wird immer wieder der keimtötende Effekt von kolloidalem Silber beworben. Die Flüssigkeit wird als Allheilmittel für verschiedene Krankheiten angepriesen und damit beworben, dass sie ein „natürliches“ Antibiotikum sei. Was steckt dahinter?
Die medizinische Anwendung von Silber war schon in der Antike bekannt, zu dieser Zeit wurde die Substanz als Desinfektionsmittel und zur Wundbehandlung eingesetzt. Auch heute noch gibt es Wundverbände und Salben mit Silber. Die kolloidale Variante hingegen wurde um 1900 entwickelt und unter anderem oral zur Bekämpfung von Infektionen eingesetzt. Nach dem Aufkommen der Antibiotika rückte das Mittel aufgrund besserer Alternativen in den Hintergrund. In letzter Zeit hat das kolloidale Silber jedoch insbesondere in der Alternativmedizin eine Renaissance erlebt.
Manche Gesundheitsseiten, die für den Einsatz propagieren, nennen als Beispiele für den innerlichen Gebrauch: Erkältungen, grippale Infekte, bakteriell bedingte Entzündungen, Halsschmerzen, Durchfall, Magenschleimhautentzündungen, Dickdarmentzündungen, Allergien, Mundgeruch, Zahnfleischentzündungen, Candida Albicans, chronische Müdigkeit, Virusinfektionen, eine Augenentzündung und das Ausleiten von Amalgam.
Zudem werde die Regeneration von Haut, Gewebe und Knochen sowie das Zellwachstum gefördert. Es sei das nebenwirkungsfreie Antibiotikum schlechthin: „Kolloidales Silber ist herkömmlichen Antibiotika in Wirkung, Nebenwirkungsfreiheit und Kosten weit überlegen“, so die selbstgenannten Experten.
Zunächst ist kolloidales Silber im pharmakologischen Sinne kein Antibiotikum, auch wenn es gegenüber bestimmten grampositiven und gramnegativen Erregern antimikrobielle Eigenschaften aufweist – allerdings bei topischer Anwendung. Wissenschaftlich betrachtet hängt die Wirkung von Antibiotika mit definierten Targets zusammen, so wirken beispielsweise β-Lactam-Antibiotika über die Hemmung der Zellwandsynthese, während Makrolide über die Hemmung der Proteinbiosynthese am Ribosom wirken. Daher fällt es nicht unter diese Definition.
Silberteilchen in kolloidalem Silber sind zwischen 1 und 100 nm groß, positiv geladen und liegen im Wasser dispergiert vor. Gängig ist die Herstellung mittels Elektrolyse, dazu werden Silberstäbe und destilliertes Wasser eingesetzt. Die orale Applikation kann zu einer irreversiblen, schiefergrauen oder auch grau-bläulichen Verfärbung von Haut und Schleimhäuten führen (Argyrie). Grund für die diffuse Pigmentierung ist die Ablagerung von Silberkomplexen, die im Zuge einer Oxidation entstanden sind. Zwar ist das „lediglich“ kosmetisch störend und hat keine negativen Auswirkungen auf die Organe, dennoch kann die Lebensqualität darunter extrem leiden. Gegen die Verfärbung gibt es bislang keine wirksame Behandlungsmethode.
Silberionen haben keine physiologische Funktion. In den Konzentrationen, in denen es Bakterien tötet, schädigt es auch die Fibroblasten. Das sind Gewebszellen, die eine bedeutende Rolle bei der Synthese der der extrazellulären Matrix spielen. Forscher konnten zeigen, dass Silbernanopartikeln Radikale in menschlichen Keratinozyten induzieren. Für die Zellen bedeutet das oxidativer Stress. In-vitro-Studien demonstrieren zudem, dass die Erythropoese beeinträchtigt wird.
Desweiteren werden geno- und zytotoxische Effekte diskutiert. Einige Forscher beobachteten zudem differenzielle Effekte im subtoxischen Bereich auf die Zytokinsynthese der humanen mesenchymalen Stammzellen (hMSCs). Außerdem wurde von renalen, hepatischen und neurologischen Problemen berichtet, die nach längerer Einnahme von kolloidalem Silber auftreten können. Die orale Einnahme hat daher keine evidenzbasierte medizinische Indikation.
Schon im Jahr 1999 reagierte die US-Gesundheitsbehörde FDA auf die verbreitete Verwendung von kolloidalem Silber. Sie sprach sich damals gegen den innerlichen und äußerlichen Gebrauch von OTC-Arzneimitteln aus, die kolloidale Silberbestandteile oder Silbersalze enthalten, da diese Produkte allgemein als nicht sicher und nicht wirksam anerkannt wurden und immer noch werden.
In Deutschland ist kolloidales Silber weder Nahrungsergänzungs- noch Arzneimittel. In der Vergangenheit gab es zwar ein Magen-Darm-Therapeutikum namens Gastrarctin N (Serumwerk Bernburg) als Arzneimittel. Doch aufgrund des ungünstigen Nutzen-/Risikoprofils wurde es vom Markt genommen. Derzeit ist das Nachfolgerprodukt Gastrarctin erhältlich, das als traditionelles pflanzliches Arzneimittel keine Silberionen mehr enthält.