Kinderarzt kritisiert Apotheker-Vertrag Nadine Tröbitscher, 22.03.2018 14:11 Uhr
Nie waren Grippeimpfstoffe so populär wie aktuell. Die Frage der Erstattung und die Zusammensetzung der Vakzine für die Saison 2018/19 sind noch nicht geklärt und der von der AOK Nordost vereinbarte Festpreis sorgt ebenfalls für Ärger und das nicht nur aufgrund des Preises sondern auch der Altersbeschränkung. Vor allem Pädiater sind sauer, denn auf sie könnte ein erheblicher Mehraufwand zukommen. Kinderarzt Dr. Ralph Köllges aus Mönchengladbach erklärt das Dilemma.
Überfüllte Praxen sind derzeit im gesamten Bundesgebiet an der Tagesordnung, Versorgungsengpässe über Wochen vorprogrammiert. Köllges ist sauer, enttäuscht und verärgert. „Jedes Jahr ist es das gleiche Dilemma. Die Influenza-Welle kommt so überraschend wie Weihnachten“, erzählt der Pädiater. Den Umgang mit der Impfung empfindet Köllges „als Angriff auf seine persönliche Gesundheit“. Bei mehr als 300 Patientenkontakten in der Gemeinschaftspraxis, haben 200 bis 250 Patienten akute Infekte, so der Kinderarzt. Davon hätten 120 bis 150 eine echte Influenza. Ein Fakt, den eine Impfung verhindern könnte. Der Kinderarzt hatte im vergangenen Jahr beinahe eine dreijährige vorher völlig gesunde Patientin durch eine Influenza verloren.
Ein Problem scheint jedoch auch die aktuelle Impfempfehlung. Diese sieht eine Impfung bei den über 60-Jährigen vor. Die Patientengruppe reagiert jedoch aufgrund der Immunseneszenz immunologisch am schwächsten auf eine Impfung. Kinder seien dagegen „das Feuer der Influenza, aber die fallen leider noch aus dem Raster der Empfehlung“.
Köllges muss also viel Überzeugung aufbringen um seine kleinen Patienten zu impfen. Am liebsten würde er die ganze Familie gleich mit immunisieren, denn er hat Glück in Nordrhein dürfen Pädiater alle Altersklassen impfen. Doch der Arzt fühlt sich durch die Festbetragsvereinbarungen der Kassen gelähmt. „Die Kassen schaden dem Impfgedanken über Jahre und zerstören mit den regionalen Verträgen den AMNOG-Gedanken. Impfstoffe sind keine Arzneimittel im herkömmlichen Sinne, sondern biologische Arzneimittel und daher untereinander schwer zu vergleichen.“
Die AOK Nordost hat für etwa 1,8 Millionen Versicherte in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit dem Berliner Apotheker-Verein (BAV) eine Vereinbarung getroffen, die eine Versorgung auf geringstem Preisniveau vorsieht. Der BAV wiederum schließt über seine Tochterfirma D.S.C. Verträge mit den Herstellern. Für den quadrivalenten Impfstoff ist ein Betrag von 10,95 Euro pro Mehrwertsteuer vorgesehen. Dem Vernehmen nach hat Mylan den Zuschlag von D.S.C. erhalten – Sanofi und GSK sind teurer.
Grundsätzlich scheint der Zuschlag an Mylan vielleicht kein Problem zu sein. Ein genauer Blick in die Zulassung bringt jedoch die Krux ans Tageslicht. Mylans Influvac tetra „wird in der kommenden Saison für die beiden Altersgruppen 18 bis 60 und 60+ vorliegen“, schreibt das Unternehmen. „Die Dossiers für die einzelnen Altersgruppen für die Grippeschutzimpfung von Jugendlichen, Kindern und Kleinkindern sind bei unseren Kollegen in der Zulassung in Arbeit; sie folgen in den kommenden 1 bis 2 Jahren.“ Heißt im Klartext: Kinder dürfen mit Influvac tetra nicht geimpft werden.
„Das ist ein Impfhindernis“, so Köllges, „ich muss als Arzt, der auch Kinder behandelt, somit zwei Impfstoffe bestellen und bevorraten.“ Die Vakzine von GSK und Sanofi dürfen bereits ab sechs Monaten geimpft werden – jedoch muss vorab eine Kostenübernahme bei der Kasse beantragt werden. „Das verzögert die Impfung und ist verlorene Zeit.“ Pädiater hoffen eine Lücke nutzen können und die Genehmigung durch die Kasse zu umgehen. Da der Impfstoff von Mylan nicht für Kinder zugelassen ist, müsse es für Pädiater eine andere Lösung geben.
Köllges befürchtet durch die Vereinbarung auch ein Qualitätsproblem. „Wir kennen das Know-how der Firmen und den Bedarf. Es ist nicht einmal klar ob Mylan die vereinbarte Menge überhaupt produzieren kann. Auch wenn eine Strafe bei Nichteinhaltung fällig wird, stehen dann nicht genügend Impfdosen zur Verfügung. Die Festpreise können zu Engpässen führen, wenn sich die großen Firmen rausnehmen und weniger Impfdosen produzieren, droht ein Versorgungsengpass. Genau das sollte ja durch das AMNOG vermieden werden.“
Dies ist „für alle engagierten Ärzte ein Schlag ins Gesicht“. Die Kassen in Nordrhein vereinbaren zudem außerhalb der STIKO-Empfehlung noch Influenzaimpfungen als Satzungsleistungen – gut gemeint, aber Ursprung für weitere Ärgernisse. Köllges durfte Risikopatienten nur mit einer trivalenten Vakzine impfen, bei Satzungspatienten obliegt ihm die Wahl. Das Problem: „Ein Zwölfjähriger mit schwerem Asthma musste den störungsanfälligen und in dieser Saison nicht gut wirksamen trivalenten Impfstoff erhalten. Sein gesunder achtjähriger Bruder durfte mit der quadrivalenten Vakzine immunisiert werden. Ein Irrsinn, den man den Patienten nicht vermitteln kann“. Der Dreifach-Impfstoff ist laut Köllges ohnehin in Zukunft unnötig.
Der Wunsch des Pädiaters für die Zukunft: Ärzte bestellen die Impfstoffe wieder selbst und Festbeträge gehören der Vergangenheit an. Außerdem wünscht sich Köllges einen Modellversuch in einigen KV-Regionen. Dieser soll zeigen, wie eine hohe Durchimpfungsrate bei Kindern das Auftreten einer Influenza signifikant reduzieren kann.