Bringt Ketamin Licht ins Dunkel? Deniz Cicek-Görkem, 22.08.2017 09:36 Uhr
Die Wirkung gängiger Antidepressiva setzt erst nach Wochen ein oder tritt erst gar nicht bei allen Patienten auf. Nach positiven Ergebnissen in präklinischen Studien ist Ketamin als „schnellwirksame Alternative“ stärker in den Fokus gerückt. Auch im Rahmen laufender klinischer Studien berichten Patienten hin und wieder von einer antidepressiven Wirkung des gängigen Narkosemittels, welche allerdings auch mit Risiken verbunden ist. Nur wenige Studien untersuchten die Arzneimittelsicherheit. Ein systematischer Reviewartikel zeigt nun auf, wie die Evidenzlage hierzu aussieht.
Forscher untersuchen seit einigen Jahren die Wirksamkeit von Ketamin bei depressiven Störungen als schnellwirksame Alternative zu den gängigen Antidepressiva. So setzt die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München die Substanz in der antidepressiven Therapie im Rahmen von Studien ein und beteiligt sich an nationalen und internationalen Forschungsprojekten zu diesem Thema.
Der Wirkstoff ist aus der Anästhesie und Notfallmedizin bekannt, er wird als Narkose- und Schmerzmittel eingesetzt. Zudem wird Ketamin in der Behandlung des therapieresistenten Status asthmaticus verwendet. Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören unter anderem Albträume, Schwindel und Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz um mehr als 20 Prozent.
Bislang ist bekannt, dass die Substanz unter anderem eine antagonistische Wirkung am Glutamat-abhängigen NMDA-Rezeptor hat. Die vielfältigen Wirkmechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler haben im vergangenen Jahr an Tieren beobachtet, dass eine Einfachdosis von Ketamin eine schnelle antidepressive Wirkung entfaltet und dass diese auch erhalten bleibt. Verantwortlich für die Wirkung wird der Metabolit Hydroxynorketamin (HNK) gemacht. HNK produziert bei den Mäusen keine Rauschzustände und machten diese auch nicht süchtig. Im Gegensatz zur anästhetischen Wirkung, bei der der NMDA-Rezeptor beteiligt ist, spielt laut Studienergebnissen hier der AMPA-Rezeptor eine Rolle.
Eine erste Übersichtsarbeit analysierte die Sicherheit von Ketamin in der Behandlung der Depression bei Einzel- und Mehrfachdosen. Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Colleen K. Loo identifizierte 288 Artikel aus gängigen Datenbanken, von denen 60 das Einschlusskriterium erfüllten. Sie beobachteten, dass nach einer Akutdosis mit Ketamin bei depressiven Patienten psychiatrische, kardiovaskuläre, neurologische und andere Nebenwirkungen häufiger auftraten als mit Placebo.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die meisten Studien nicht placebo-kontrolliert waren und nur zwölf Studien die Langzeitsicherheit untersuchten. Sie berichten, dass eine Verzerrung der Studienergebnisse aufgrund Publikationsbias wahrscheinlich sei und zudem die Langzeitanwendung und -sicherheit nur eingeschränkt bewertet wurden.
Aufgrund der fehlenden Evidenz empfiehlt das Team um Loo eine in großem Maßstab angelegte klinische Studie, die die Aspekte einer Mehrfachdosis von Ketamin untersucht. Mit einem Follow-up soll dann die Arzneimittelsicherheit evaluiert werden.
Depressionen sind biochemisch gekennzeichnet durch einen Ungleichgewicht an Botenstoffen im Gehirn und gehen mit Symptomen wie bedrückte Stimmungslage, Verzweiflung, Antriebslosigkeit, Rückzug aus dem sozialen Leben sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen einher. Außerdem können die Patienten schwere Schuldgefühle haben. In schweren Fällen löst die Krankheit Suizidgedanken aus.
Häufig spielen mehrere Faktoren bei der Entstehung der Erkrankung eine Rolle. Zum einen werden genetische Ursachen als Auslöser angesehen. Auch besondere Lebensumstände wie Trennung oder der Tod einer nahen Person leisten einen großen Beitrag. Zudem sind auch körperliche Ursachen in diesem Zusammenhang wichtig. Als mögliche Auslöser werden werden unter anderem ein gestörter Transmitterstoffwechsel von Serotonin und/oder Noradrenalin, Krankheiten wir Parkinson oder Krebs, chronischer Stress aber auch eine extreme leistungsorientierte und perfektionistische Haltung betrachtet.
Neben der Verwendung psychotherapeutischer Maßnahmen bei Depressionen werden medikamentöse Substanzen wie Citalopram oder Paroxetin aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) eingesetzt. Außerdem können beispielsweise Venlafaxin, Duloxetin oder Amitriptylin aus anderen Substanzklassen zum Einsatz kommen. Häufig setzt die Wirkung dieser Arzneistoffe erst nach Wochen ein, was die Compliance beeinträchtigten kann.