Fluorchinolone

Keine Evidenz für Aortenaneurismen Nadine Tröbitscher, 03.05.2017 11:21 Uhr

Berlin - 

Fluorchinolone werden aufgrund ihres breiten Wirkspektrums oft eingesetzt. Die Antibiotika sind jedoch in der letzten Zeit durch ihre schwerwiegenden Nebenwirkungen in den Fokus gerückt. Sie sollten vielmehr als Reserveantibiotika eingesetzt werden. Aktuell fiel die Risikobewertung bezüglich Aortenaneurismen und -dissektionen zugunsten der Stoffgruppe aus.

Fluorchinolone waren im Jahr 2015 die am vierthäufigsten verordneten Antibiotika. Etwa sechs der rund 38 Millionen Packungen entfielen auf die Stoffgruppe. Häufiger wurden nur Betalaktame, Makrolide und Tetracycline verordnet. Dies ist ihrem breiten Wirkspektrum geschuldet. Zu häufig kamen sie bei Bagatellinfektionen wie unkomplizierten Harnwegsinfekten, Bronchitis oder Sinusitis zum Einsatz, denn etwa 70 Prozent der Verordnungen stammen von Hausärzten, so das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Das am häufigsten verordnete Fluorchinolon ist laut WIdO mit 63 Prozent Ciprofloxacin.

Der Wirkung gegen schwerwiegende Infektionen stehen verschiedene schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) gegenüber. Sehnenrisse, Depressionen und Angstzustände, kardiale Nebenwirkungen sowie Antibiotikaresistenzen sollen nur noch zu einem Einsatz nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung führen. So wenig wie nötig und so gezielt wie möglich, lautet die Devise.

Ein Signalverfahren auf europäische Ebene sollte klären, ob ein möglicher Zusammenhang zwischen der Einnahme von Fluorchinolonen und dem Auftreten von Aortenaneurismen (AA) und -dissektionen (AD) besteht. Die Experten zogen zwei Studien aus dem Jahr 2015 in ihre Diskussion mit ein, die ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von AA und AD ergaben – eine taiwanesische Fall-Kontroll-Studie und eine kanadische Kohortenstudie. Ursache sei die besondere Empfindlichkeit von Bindegewebsstrukturen gegenüber den Wirkstoffen. Fluorchinolone sollen demnach die kollagenreichen Strukturen schädigen – analog den Sehnen, die ebenfalls Bindegewebsstränge sind.

Die Stoffgruppe hemmt extrazelluläre Matrixproteine, die in der Lage sind, Kollagen und Elastin als Bestandteile der Aortenwand zu degradieren. Die Aorta besteht – wie die Achillessehnen – vorrangig aus den Kollagenen vom Typ I und III.

Die Experten kamen jedoch zu dem Schluss, derzeit bestehe keine ausreichende Evidenz, die Produktinformationen der Fluorchinolone anzupassen, obwohl die Studien übereinstimmend ein zweifach erhöhtes Risiko von AA und AD unter der Gabe von Fluorchinolonen zeigen. Die Studien ermöglichten jedoch keine Überprüfung der tatsächlichen Medikamenteneinnahme durch den Patienten. Zudem seien die Verordnungen im Rahmen der Krankenhausversorgung nicht einbezogen. „Insgesamt handelt es sich bei der Assoziation von AA und AD mit Fluorchinolonen um Zusammenhänge, die nur sehr schwer im Rahmen von Beobachtungsstudien evaluiert werden können“, teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit, das die Federführung der Bewertung übernahm. Die Untersuchungen seien anfällig für Störfaktoren und methodische Mängel, urteilten die Experten.

AA sind Gefäßwanderweiterungen der Aorta, die in unterschiedlichen Abschnitten auftreten können. Ein Aneurisma ist eine fokale Aufweitung des Durchmessers einer Arterie um mindestens 50 Prozent ihres Normalwertes. Ein AA bleibt lange Zeit beschwerdefrei; erst wenn es relativ groß ist, können Schmerzen in Bauch und Rücken auftreten. Eine AD entsteht durch einen Riss in der Gefäßinnenwand, der durch einen kurzfristigen, starken Schmerz von den Betroffenen wahrgenommen wird. Die Folge können Einblutungen in tiefere Wandschichten sein. Lebensgefahr kann bei einer Ruptur eines AA und AD bestehen.

Dass Fluorchinolone Sehnenschäden in Form von Entzündungen oder Rissen verursachen können, ist bereits seit den 60er-Jahren bekannt und wurde in die Produktinformationen aufgenommen. Die Ruptur der Achillessehne wird dabei als besonders gefährlich angesehen und tritt mit erhöhtem Risiko bei älteren Personen ab dem 60. Lebensjahr auf. Die unerwünschte Arzneimittelwirkung kann bereits wenige Stunden nach der Einnahme auftreten und bis zu vier Wochen nach Therapieende. Seit Februar prüft die EMA die Wirkstoffgruppe.

Zuletzt hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA im vergangenen Jahr über Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der systemischen Anwendung von Fluorchinolonen berichtet. Ärzte sollen ihre Patienten nach der Empfehlung der FDA darauf hinweisen, dass die Behandlung bei den ersten Anzeichen von Schmerz oder Entzündung abgebrochen werden sollte. Als Alternative nannte die US-Behörde beispielsweise die Penicilline, Doxycyclin oder auch Makrolide.

Levofloxacin, Ofloxacin, Ciprofloxacin, Norfloxacin, Enoxacin und Moxifloxacin sind in Deutschland zugelassene Fluorchinolone. Die bakterizide Wirkung beruht auf Verhinderung der DNA-Replikation vor allem gramnegativer Keime, durch Hemmung der Topoisomerase.