Kegelschnecken-Gift statt Morphium APOTHEKE ADHOC, 19.11.2019 07:55 Uhr
Im Bereich der Schmerzbehandlung wird immer nach wirksamen Alternativen gesucht. Wissenschaftler der Universitäten Wien und Queensland fanden nun Hinweise auf einen neuen Ansatz: Das Gift der Kegelschnecken soll potenter in seiner Wirkung sein als Morphin. Mit Ziconotid ist bereits ein Vertreter auf dem Markt. Die weitere Erforschung könnte zu neuen Schmerztherapien bei chronischen Schmerzen führen.
Bei den Kegelschnecken handelt es sich um fleischfressende Meeresschnecken. Um ihre Nahrung zu fangen und Feinde abzuwehren, verwenden sie ein Nervengift, welches über eine Art Harpune in die Opfer injiziert wird. Dabei sollen die Schnecken Menge und Zusammensetzung des Giftes selbst kontrollieren können. Die im Gift enthaltenen Conotoxine, welche vor allem zur Verteidigung eingesetzt werden, sollen sich zudem als hochwirksames Schmerzmittel eignen. Conotoxine sind auf das Verursachen von Schmerz ausgerichtet. Daher versuchten die Forscher, den genauen Wirkmechanismus zu entschlüsseln.
Sie fanden heraus, dass bestimmte Peptide eine wesentliche Rolle spielen, die in Wechselwirkung zueinander stehen und so verschiedene Peptid-Gemische erzeugen. Je nach Zusammensetzung besitzen sie auch verschiedene Auswirkungen auf das Nervensystem des Menschen: So können beispielsweise Ionenkanäle blockiert oder aktiviert werden. Diese Eigenschaft könnte in der Schmerztherapie von Nutzen sein, da Ionenkanäle ein Angriffspunkt für die Schmerzweiterleitung darstellen. Die Conotoxine hätten mit ihrer Wirkung und Selektivität die Schmerzforschung revolutioniert und das Verständnis über die Schmerzreizleitung grundlegend verbessert, erklärten die Wissenschaftler. Sie wollen nun die genauen Eigenschaften der unterschiedlichen Rezeptor-Subtypen klären.
Die neue Generation der Conotoxin-Wirkstoffe soll schon an den vorgelagerten Spinalganglien ansetzen. Damit könnten die Schmerzen bereits abgefangen werden, bevor sie ins Rückenmark weitergeleitet werden.
Bereits bekannt ist das Conotoxin Ziconotid – ein N-Typ-Calciumkanalblocker – welcher unter dem Handelsnamen Prialt auf dem Markt ist. 2018 sicherte sich Riemser die Exklusivrechte für das nicht-opioide Schmerztherapieprodukt von Eisai: Die Rechte beziehen sich auf die Entwicklung und Vermarktung von Prialt in Europa, wo das Produkt bereits in zwölf Ländern zugelassen ist. Prialt wird zur chronischen Schmerzlinderung angewendet und mittels einer implantierten Schmerzpumpe direkt ins Rückenmark injiziert, um dort die Schmerzreizleitung zu blockieren. Im Gegensatz zu Opioiden soll Ziconotid bei Patienten keine Abhängigkeit verursachen. Der Wirkstoff wird seit 2005 synthetisch hergestellt.
2010 hatten Bochumer Wissenschaftler bei der Analyse mehrerer Studien festgestellt, dass es unter Ziconotid mehrere Fälle von Suizidversuchen gab. Die Wissenschaftler vermuteten, dass der Wirkstoff nicht nur die Weiterleitung von Schmerzreizen hemmt, sondern dabei auch die Stimmung verschlechtern und gleichzeitig Ängste und Impulskontrolle reduzieren könnte. Diese Mechanismen könnten bei Gefährdeten Suizide begünstigen, hieß es damals.
Unerwünschte kognitive und neuropsychiatrische Wirkungen sind unter der Behandlung mit Ziconotid häufig: Typischerweise treten solche Beeinträchtigungen nach mehrwöchiger Behandlung auf. Beim Auftreten von akuten psychiatrischen Störungen wie Halluzinationen, paranoiden Reaktionen, Feindseligkeit, Aggressivität, Delirium, Psychose oder manischen Reaktionen sollte die Dosis reduziert oder abgesetzt werden.
Die kognitiven Wirkungen von Ziconotid sind normalerweise innerhalb von ein bis vier Wochen nach Absetzen des Arzneimittels reversibel. Es wird dennoch empfohlen, die Patienten vor und nach Beginn der intrathekalen Anwendung von neuropsychiatrisch zu untersuchen. Gemäß Fachinformation sollte die Dosierung bei 2,4 μg pro Tag begonnen werden und individuell je nach Ansprechen des Patienten und unerwünschten Wirkungen aufdosiert werden. Laut Hersteller hat sich jedoch seit einigen Jahren ein aktualisiertes Titrations- und Dosierschema als sinnvoll erwiesen: Mit einer geringeren Einstiegsdosierung von 0,5-1,2 μg/Tag und einer Aufdosierung von ≤ 0,5 μg/Tag im Intervall von zwei bis drei Tagen bis hin zu einem Abstand von einer Woche, lasse sich das Risiko der Nebenwirkungen stark reduzieren. Die häufigsten Nebenwirkungen von Prialt sind zudem Schwindel, Übelkeit, Nystagmus, Verwirrung, Gangabnormalitäten, Beeinträchtigung des Gedächtnisses, Verschwommensehen, Kopfschmerz, Asthenie, Erbrechen und Somnolenz.