Kaletra: Wenig wirksam bei Corona Alexandra Negt, 12.05.2020 08:57 Uhr
Lopinavir und Ritonavir gehören zu den Proteaseinhibitoren und werden zur Behandlung von HIV-Infektionen eingesetzt. Ende Februar rückte die Kombination in den Fokus, da Wissenschaftler eine Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2 vermuteten. Nun wurde im New England Journal of Medicine (NEJM) eine erste Studie zur Wirksamkeit publiziert – die Ergebnisse sind eher ernüchternd.
Es handelt sich um eine Studie aus Peking, die 199 Patienten einschloss. Die randomisierte, kontrollierte, offene Studie berücksichtigte erwachsene hospitalisierte Patienten mit bestätigter Sars-CoV-2-Infektion. Alle Teilnehmer wiesen eine Sauerstoffsättigung von 94 Prozent oder weniger auf. Die 99 Patienten der Proteaseinhibitoren-Gruppe erhielten 14 Tage lang zweimal täglich die aus Kaletra bekannte Kombination aus 400 mg Lopinavir und 100 mg Ritonavir zusätzlich zur Standardversorgung. Die restlichen Personen erhielten ausschließlich eine Standardtherapie.
Als primärer Endpunkt war die Zeit bis zur klinischen Verbesserung definiert. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 58 Jahren. 60,3 Prozent der Patienten waren Männer. Die mittlere Intervallzeit zwischen Symptombeginn und Randomisierung betrug 13 Tage. Während der Studie wurden teilweise systemische Glucocorticoide verabreicht: 33 Prozent der Patienten in der Lopinavir-Ritonavir-Gruppe und 35,7 Prozent der Patienten in der Standardtherapie-Gruppe erhielten diese Präparate.
Unter der Behandlung mit den Proteaseinhibitoren starben 19,2 Prozent der Behandelten innerhalb von vier Wochen. Ohne die Therapie waren es 25 Prozent. Die Zeit bis zu einer klinischen Zustandsverbesserung verkürzte sich unter der Gabe von Lopinavir/Ritonavir um einen Tag. Auch die virale RNA war in beiden Patientengruppen ähnlich lange nachweisbar. „Bei hospitalisierten Patienten mit schwerer Covid-19-Erkrankung wurde kein Vorteil mit Lopinavir/Ritonavir gegenüber eine Standardbehandlung beobachtet“, so die Wissenschafter. Bei den Nebenwirkungen kam es in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe häufiger zu gastrointestinalen Beschwerden, schwerwiegende unerwünschte Ereignisse waren in der Standardtherapie-Gruppe häufiger. Die Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir wurde bei knapp 14 Prozent vorzeitig abgebrochen.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass eine Lopinavir-Ritonavir-Behandlung bei Patienten mit schweren Covid-19 Verläufen keine besseren Ergebnisse verglichen mit einer Standardversorgung zeigt. Zur abschließenden Beurteilung seien jedoch weitere Studien nötig.
Kaletra noch nicht aufgeben
Wissenschaftler der Columbia University in New York halten dagegen. „Einige Kliniken verzichten auf die Verwendung der Kombination von Lopinavir/Ritonavir zur Behandlung von Covid-19. Wir halten diese Maßnahme für verfrüht.“ Sie verweisen darauf, dass die Gesamtmortalität unter der Anwendung von Kaletra unter Umständen deutlich gesenkt werden könnte. „Da es derzeit keine zugelassenen Behandlungen für Covid-19 gibt […], sollten wir Lopinavir/Ritonavir noch nicht aufgeben. Wir befürworten, dass die therapeutischen Leitlinien Lopinavir/Ritonavir als Behandlungsoption gegen Covid-19 beibehalten, bis die Solidarity-Studie der Weltgesundheitsorganisation abgeschlossen ist.“
Lopinavir und Ritonavir
Lopinavir und Ritonavir gehören zu den Proteaseinhibitoren und werden zur Behandlung von HIV-Infektionen eingesetzt. Die Zulassung des Fertigarzneimittels Kaletra erfolgte im März 2001. Beide Wirkstoffe hemmen die HIV-Protease. Diese ist ein Schlüsselenzym und dafür zuständig, das von der befallenen Wirtszelle produzierte Protein zu spalten. Durch die Hemmung des Enzyms kommt es zur Anhäufung nichtinfektiöser Virus-Vorstufen. Lopinavir ist in Kaletra mit Ritonavir kombiniert. Der Grund: Ritonavir kann die Aufnahme, die Verteilung sowie den Abbau und die Ausscheidung anderer Proteasehemmer verbessern. Kaletra ist in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Behandlung von HIV-infizierten Kindern über zwei Jahre zugelassen. Bei bereits mit Proteasehemmern vorbehandelten Erwachsenen sollte die Anwendung von Kaletra auf einer individuellen virologischen Resistenzuntersuchung stattfinden.
Schon bei der Sars-Pandemie im Jahr 2002 wurde den Infizierten Kaletra (außerhalb der EU Aluvia) gegeben, teilweise mit Erfolg. Die Wirkstoffe bilden über Wasserstoffbrückenbindungen einen Komplex mit dem Sars-Virus. Die Ergebnisse der damaligen Studie konnten zeigen, dass die Wirkstoffe als Inhibitoren im gewissen Maße an das aktive Zentrum von Sars-CoV-1 gebunden haben.