Isotretionin gegen Covid-19 Alexandra Negt, 28.04.2020 14:59 Uhr
Weltweit suchen Forscher nach einem geeigneten Wirkstoff gegen Covid-19. Bislang in der engeren Auswahl der bereits zugelassenen Wirkstoffe und Arzneimittel sind das HIV-Medikament Kaletra, Favipiravir, Camostat und die Wirkstoffe Chloroquinphosphat und Hydoxychloroquin. Nun startet eine erste Studie zu zur möglichen Wirksamkeit von Isotretionoin bei Covid-19. Der zu den Retinoiden gehörende Wirkstoff weist immunmodulierende Wirkungen durch Hemmung der Granulozytenmigration und Stimulation der Langerhans-Zellen auf. Isotretinoin hat einen direkten Einfluss auf Lymphozyten und verbessert die Ausreifung von Keratinozyten. Doch der Arzneistoff weist auch zahlreiche Nebenwirkungen auf.
Die Forscher der ägyptischen Tanta University haben für ihre aktuelle Studie Ergebnisse von früheren Forschungsprojekten mit Isotretinoin herangezogen. Bei dem Retinoid vermuten die Wissenschaftler einen möglichen Wirkmechanismus gegen Sars-CoV-2 durch die den ACE2-Rezeptor hemmende Wirkung. Das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) ist ein wichtiges zelluläres Wirtsprotein, das für den Viruseintritt erforderlich ist. Die Expression dieses Proteins findet in vielen Geweben statt, unter anderem in der Lunge, der Mundschleimhaut, dem Darm, dem Herz, der Niere, dem Endothel und der Haut. Zellen, die ACE2 exprimieren, sind anfällig für Sars-CoV-2-Infektionen, da der ACE2-Rezeptor den Eintritt und die Replikation des Virus erleichtert.
In einer Studie, die über 20.000 Zelllinien für kleine Moleküle analysierte, war Isotretinoin die Substanz, die ACE2 -Rezeptoren am effizientesten herunterregulierte. Bei sechs anderen Wirkstoffen, die derzeit in klinischen Studien zur Behandlung von Covid-19 untersucht werden, konnte diese Eigenschaft laut den ägyptischen Wissenschaftlern nicht bestätigt werden – darunter Chloroquin, Losartan, Lopinavir und Ritonavir. In der Studie konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass Isotretinoin ein potenzieller Papain-ähnlicher Protease-Inhibitor (PLpro) ist. Dieses Protein wird von Sars-CoV-2-Genen codiert. Darüber hinaus wurde berichtet, dass Isotretinoin die CD4-Zahlen erhöht und die Virämie, also das Vorkommen von Viren im Blut, bei HIV-positiven Patienten mit Akne vulgaris deutlich verringert. Derzeit wird eine Studie durchgeführt, um die Wirkung von Isotretinoin auf die Immunaktivierung bei HIV-1-infizierten Personen mit unvollständiger Wiederherstellung der T-Zellen (CD4+) zu bewerten.
Die Studie ist angelegt als eine randomisierte Phase-III-Vergleichsstudie – die Rekrutierung soll in den kommenden Tagen starten. Es ist geplant, 150 erwachsene männliche und weibliche Patienten mit Covid-19 in die Studie aufzunehmen. Alle Probanden sollen zufällig und blind im gleichmäßigen Verhältnis in drei Gruppen eingeteilt werden: Die Teilnehmer der ersten Gruppe sollen einen Monat lang Isotretinoin in der Dosis 0,5 mg/kg Körpergewicht pro Tag erhalten. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe sollen eine Standardtherapie für Covid-19 erhalten. Diese besteht im Falle eines milden bis mittelschweren Verlaufs aus folgenden Arzneimitteln: Paracetamol 500 mg alle sechs Stunden, Hydroxychloroquin 500 mg alle zwölf Stunden, Oseltamivir 150 mg alle zwölf Stunden für 5 Tage, Azithromycin 1 g am ersten Tag und an den Folgetagen 500 mg täglich. Patienten mit schweren Verläufen werden in die dritte Gruppe eingeteilt und erhalten Clarithromycin 500 mg zweimal täglich für sieben bis vierzehn Tage und Ascorbinsäure 500 mg zweimal täglich, Cyanocobalamin und Kaletra.
Zu den Ausschlusskriterien für die Studie gehören:
- Hypercholesterinämie
- Hypertriglyceridämie
- Lebererkrankung
- Nierenerkrankung
- Sjögren-Syndrom
- Schwangerschaft
- Stillzeit
- Depressive Störung
- Gegenanzeigen für hormonelle Empfängnisverhütung oder Intrauterinpessar
Isotretinoin gehört zu den Retinoiden und wird bei der Aknetherapie eingesetzt. Topisch anzuwendende Salben enthalten maximal 0,05 Prozent Wirkstoff. Zur systemischen Therapie stehen Kapseln zur Verfügung. Die Dosierung richtet sich nach dem Gewicht und sollte ungefähr 0,5 mg/kg betragen. Da es besonders bei systemischer Anwendung zu zahlreichen Nebenwirkungen kommen kann, sollte die Verschreibung nur in begründeten Einzelfällen erfolgen, bei denen die äußerliche Anwendung nicht ausreichend wirksam war. Zu den häufigsten Nebenwirkungen bei oraler Einnahme gehören trockene Rhinitis, trockene Mund- und Rachenschleimhaut, Haarausfall, Konjunktivitis, Kopfschmerzen, Leberinsuffizienz, Hyperglykämie (bei bestehendem Diabetes mellitus) und Störungen des Fettstoffwechsels.
Unter der Anwendung oraler Retinoide wurde in zahlreichen Fällen über Depressionen oder verstärkte Angststörungen, sowie über Stimmungsschwankungen berichtet. Patienten sollten darüber informiert sein und bei derartigen Reaktionen einen Arzt aufsuchen. Bei Anzeichen von Depressionen sollte eine Behandlung eingeleitet werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt Patienten, die bereits früher unter Depressionen gelitten haben. Bei der Abgabe der Tabletten sollten Apotheker und PTA stets nach Vorerkrankungen fragen. Wurde der verordnende Arzt nicht über eine depressive Erkrankung in der Vergangenheit informiert, so sollte vor der Belieferung des Rezeptes Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden.
Das Problem mit den Nebenwirkungen
Isotretinoin ist ein Wirkstoff, der nur im Ausnahmefall verschrieben werden sollte. Da das Rezidivrisiko innerhalb der ersten drei Jahre bei bis zu über 60 Prozent liegen kann, verschreiben Dermatologen den Arzneistoff zumeist nur nach einer gründlichen Anamnese unter Einbeziehung des psychischen Leidensdrucks.
Bei der Abgabe von oralen Retinoiden müssen Apotheker und PTA seit letztem Jahr eine Checkliste abarbeiten. Grund ist das erhöhte teratogene Risiko des Wirkstoffes. Die Checkliste ist verpflichtender Teil der Zulassung und fester Bestandteil des Schwangerschaftsverhütungsprogramms. Denn Frauen müssen während der Therapie mit einem geeigneten Verhütungsmittel verhüten. Darüber gelten für beide Geschlechter weitere Beschränkungen: Bis einschließlich einen Monat nach Absetzen des Medikaments darf kein Blut gespendet werden.
Wirkstoffe mit einem schlechten Nebenwirkunsgpotential bei einer Pandemie einzusetzen, birgt auch vermehrt Risiken, wie die ersten Ergebnisse einzelner Studien zeigen konnten. Studien mit den Wirkstoffen Chloroquinphosphat und Hydroxychloroquin wurden zum Teil abgebrochen oder lieferten keinen Therapieerfolg. So zeigte sich beispielsweise in ein amerikansichen Studie des Dorn Research Institute in Columbia, South Carolina, dass die Gabe von Hydroxychloroquin mitunter sogar schädlich sein kann. Die Einnahme des Malariamittels, auch in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin, konnte die Wahrscheinlichkeit für eine künstliche Beatmung nicht senken. Bei Patienten, die nur Hydroxychloroquin erhielten, lag sogar eine deutlich höhere Sterberate vor als bei denen, die unbehandelt blieben. Auch in Brasilien wurde eine Studie mit dem Wirkstoff frühzeitig abgebrochen. Der Grund: Die Todesfallzahlen innerhalb der Studiengruppe der Patienten, die eine hohe Dosis des Malariamedikamentes erhielten, waren zu groß. Das höhere Dosierungsschema von 12 g Chloroquin über einen Zeitraum von zehn Tagen wurde von den Wissenschaftlern als unsicher und nicht empfehlenswert eingestuft.