Oftmals nur fiktiver Zusatznutzen

IQWiG will Orphan Drugs bewerten

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Berlin -

Die Kosten für Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten steigen seit Jahren an – denn bei Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen automatisch als belegt. Grund genug für das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), eine Analyse durchzuführen. Im Ergebnis zeigt sich, dass nur die Hälfte aller Arzneimittel einen Zusatznutzen zeigt.

Orphan Drugs unterliegen einigen Sonderregeln. Hierdurch soll es Unternehmen erleichtert werden, neue Wirkstoffe zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, auch wenn die Absatzzahlen sich aufgrund der geringen Anzahl von Patient:innen in Grenzen halten: Der Status kann für Arzneimittel vergeben werden, die zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen dienen, an denen nicht mehr als einer von 2000 Bürger in der EU leiden.

Medikamente, die mit Status in der EU zugelassen werden, erhalten eine zehnjährige Marktexklusivität – unabhängig vom Patentschutz. Das heißt, dass ähnliche Medikamente nicht zugelassen werden können. Ausnahme: Die neuen Arzneimittel sind dem bisherigen Orphan Drug überlegen oder es muss ein Engpass überwunden werden. Doch auch bei den Zulassungsstudien gelten besondere Regeln: So kann die Teilnehmerzahl geringer ausfallen. Kann kein quantifizierbarer Zusatznutzen ermittelt werden, können Orphan Drugs einen „fiktiven Zusatznutzen“ erhalten. Genau dieses Privileg des „fiktiven“ Zusatznutzens empfindet das IQWiG als nicht gerechtfertigt.

Analyse von 41 Arzneimitteln

Dass für Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen allein durch die Zulassung auf europäischer Ebene und dem darauffolgenden Marktzugang ein Zusatznutzen als belegt angenommen werde, weiche stark von der eigentlichen Datenlage ab, kritisiert das IQWiG. In eienr Analyse hat das Institut nun ausgewertet, ob Orphan Drugs einen tatsächlichen zusatznutzen besitzen. In die Analyse einbezogen wurden alle 41 Orphan Drugs, die aufgrund der Überschreitung der 50-Millionen-Euro-Umsatzschwelle ein reguläres Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen haben.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die „Feststellung eines fiktiven Zusatznutzens bei Marktzugang von Orphan Drugs […] in mehr als der Hälfte der Fälle nicht bestätigt [werden konnte]. Maßgeblich war dabei in der Regel, dass erst in der regulären Nutzenbewertung eine zweckmäßige Vergleichstherapie als Vergleich herangezogen wurde, also erst hier ein Zusatznutzen bewertet werden konnte“, so das IGWiG.

„Dies hat Folgen für die Qualität der Patientenversorgung“, erläutert Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. „Neue Arzneimittel werden in diesen Fällen ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt. Die Patientinnen und Patienten haben dann viel Hoffnung in ein neues Arzneimittel gesetzt, für das erst Jahre später klar wird, dass es gar keinen Nachweis einer Überlegenheit gegenüber den vorhandenen Therapieoptionen gibt.“

Fehlsteuerung beenden

„Unsere Analyse belegt eine Fehlsteuerung bei den Orphan Drugs. Wenn in gut der Hälfte der Fälle, in denen eine reguläre Nutzenbewertung zu Orphan Drugs durchgeführt wurde, der ursprünglich konstatierte Zusatznutzen nicht bestätigt wird und Orphan Drugs, die einen echten Mehrwert darstellen, nicht mehr von Beginn an als solche erkannt werden können, besteht Handlungsbedarf: Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur frühen Nutzenbewertung ist es deshalb Zeit, das Privileg des Zusatznutzens für Orphan Drugs abzuschaffen! Auch Arzneimittel gegen seltene Leiden sollten bei Markteintritt eine reguläre – frühe – Nutzenbewertung gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie durch IQWiG und G-BA durchlaufen“, so IQWiG-Chef Professor Dr. Jürgen Windeler.

Sollte den forschenden Pharmaunternehmen der fiktive Zusatznutzen abgesprochen werden, so könnten sich Neuzulassungen schwieriger gestalten. Aufgrund der geringen Anzahl an verfügbaren Proband:innen wäre es möglich, Zulassungsstudien länger dauern. Die erleichterten Sonderregeln sollen einen Anreiz schaffen, neue Medikamente für eine begrenzte Patientenzahl zu entwickeln. Die Aufhebung des fiktiven Zusatznutzens könnte demnach Auswirkungen auf die Motivation für Forschung und Entwicklung nehmen.

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