Erst im September hatte Bayer die EU-Zulassung für Vitrakvi (Larotrectinib) erhalten, nun folgt ein herber Rückschlag: Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht keinen Zusatznutzen für die tumorunabhängige Therapie.
Vitrakvi stellt die erste tumorunabhängige Zulassung in der EU dar. Es ist geeignet für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren, die eine seltene Genom-Veränderung aufweisen – die so genannte NTRK-Genfusion. Im August hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) bereits eine bedingte Zulassungsempfehlung ausgesprochen. In den USA, Kanada und Brasilien hat Bayer die Zulassung für Vitrakvi schon länger.
Voraussetzung für die Behandlung mit Vitrakvi ist, dass neben dem Vorliegen der neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-Kinase (NTRK)-Genfusion die Tumore lokal fortgeschritten oder metastasiert sind oder eine chirurgische Resektion eine hohe Morbidität zur Folge haben kann. Das präzisionsonkologische Arzneimittel wurde gezielt zur Behandlung von Tumoren mit einer NTRK-Genfusion entwickelt. Damit stellt das Arzneimittel nicht nur eine Therapieoption für eine Krebsart, sondern für verschiedene Tumore dar.
Das IQWiG untersuchte nun, ob ein Zusatznutzen für Larotrectinib als Monotherapie im Vergleich zur bereits verfügbaren bestmöglichen Behandlung oder anderen Therapien vorliegt. Für die Nutzenbewertung zog das Institut die drei Zulassungsstudien von Vitrakvi heran. Das Ergebnis: Es deute zwar vieles auf das Potenzial des Arzneimittels hin, dennoch wird Vitrakvi kein Zusatznutzen zugesprochen. Denn durch das heterogene Anwendungsgebiet bei verschiedenen Tumorarten gab es bei den Zulassungsstudien keine Kontrollarme, in denen die Patienten eine Vergleichstherapie bekamen. Die Ableitung eines Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sei somit nicht möglich.
Zwar wurden für die Unterstützung der Dateninterpretation zu Larotrectinib Vergleichsdaten aus Studien mit anderen Wirkstoffen betrachtet, es konnte laut IQWiG jedoch für keine der Tumorentitäten ein hinreichend großer Effekt bei einem der patientenrelevanten Endpunkte angenommen werden, der nicht allein auf systematischer Verzerrung basieren könnte. Nun muss Bayer auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hoffen – denn ihm obliegt die endgültige Entscheidung. Fällt der Hoffnungsträger durch, darf der Erstattungspreis nur im Rahmen vergleichbarer, bereits länger auf dem Markt befindlichen Arzneimittel liegen – diese sind jedoch oft erheblich günstiger. Die Jahrestherapiekosten für Larotrectinib pro Patient belaufen sich derzeit auf knapp 44.000 Euro für Kinder und rund 230.000 Euro für Erwachsene.
In drei einarmigen Studien wurden Wirksamkeit und Sicherheit an insgesamt 102 Erwachsenen und Kindern und 29 Histologien bestätigt. Die Probanden wurden zuvor mit der Standardtherapie behandelt oder hatten sich einer Operation unterzogen. Die Primäranalyse zeigt eine Ansprechrate (ORR) von 72 Prozent, davon zeigten 16 Prozent ein vollständiges Ansprechen (CR). Für 55 Prozent der Probanden wurde ein partielles Ansprechen (PR) dokumentiert. Bezogen auf primäre ZNS-Tumore betrug das ORR 67 Prozent, davon 15 Prozent CR und 51 Prozent PR. Die klinischen Studien bestätigen dem Arzneistoff ein günstiges Sicherheitsprofil. Mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind erniedrigte Neutrophilenzahl, Anämie, Gewichtszunahme, Fatigue, Schwindelgefühl, Übelkeit oder eine erniedrigte Leukozytenzahl. 3 Prozent der Patienten mussten die Behandlung aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen abbrechen.
Der Ansatz von Vitrakvi zielt auf die spezifische genomische Veränderung ab und blockiert die Wirkung der Proteine und hemmt so das Tumorwachstum. Weil die NTRK-Genfusionen unabhängig von bestimmten Zell- und Gewebearten auftreten können, ist der Einsatz von Larotrectinib beispielsweise bei Lungen- und Schilddrüsenkrebs, Melanomen, Dickdarm-, Bauchspeicheldrüsen-, Gallengangskarzinomen oder Tumoren des Wurmfortsatzes, Sarkomen, Gliomen und Gliobastomen sowie bestimmten pädiatrischen Tumoren wie infantilem Fibrosarkom und Weichteilsarkom möglich. Das neuartige Arzneimittel wird oral verabreicht.
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