Vor rund zwei Jahren startete das Projekt „Intherakt“ mit dem Ziel, die Arzneimitteltherapiesicherheit von Heimbewohnern zu verbessern. Auf dem Deutschen Schmerzkongress wurden die Ergebnisse der Kooperation zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegeheimpersonal vorgestellt. Die Resultate können sich sehen lassen: Übermedikation konnte vermieden und Therapiesicherheit um 25 Prozent verbessert werden.
Am Versorgungsforschungsprojekt der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg, das Anfang 2016 startete, sind zwölf Apotheken, 15 heimversorgende Hausärzte und zehn Münsteraner Altenheime beteiligt. Das Pflegepersonal legt ein Profil für den einzelnen Altenheimbewohner an, in dem medikationsrelevante Informationen einsehbar sind. Die Daten werden an den Hausarzt weitergeleitet, der die von ihm verordneten Arzneimittel in der Datenbank hinterlegt. Von Fachärzten verschriebene und rezeptfreie Arzneimittel werden von den Pflegenden eingetragen. Im Falle einer Änderung der Medikation werden die Apotheker benachrichtigt, die nach einer Analyse den Medikationsplan erstellen.
In interprofessioneller Zusammenarbeit wurde die Medikation von rund 90 Patienten überprüft und optimiert. Die Online-Plattform ermöglichte beispielsweise die Erkennung arzneimittelbezogener Probleme: „Teilweise fehlten klare Anweisungen zum richtigen Vorgehen. Zum Teil wurden durch Austausch eines unverträglichen Medikamentes gefährliche oder unangenehme Nebenwirkungen verringert“, fasst Projektleiter Professor Dr. Jürgen Osterbrink zusammen. Der durchschnittliche Altenheimbewohner in Münster nehme pro Tag etwa zwölf Medikamente ein. Gerade bei multimorbiden Patienten, die besonders viele Verordnungen hatten, habe die Zahl nach einer gemeinsamen kritischen Überprüfung mit den beteiligten Apothekern reduziert werden können.
Eine mathematische Auswertung wurde von Professor Dr. Georg Hempel durchgeführt: „Der MAI-Wert, mit dem die Angemessenheit der Medikation definiert wurde, sank im Durchschnitt um 5 Punkte. Das entspricht einer statistischen Verbesserung um rund 25 Prozent“. Bei Patienten, die sehr viele Arzneimittel einnehmen mussten, lag dieser Wert sogar bei bis zu 60 Prozent.
„Wir brauchen gerade bei älteren Patienten eine individualisierte Arzneimitteltherapie unter Beachtung der pharmakokinetischen und -dynamischen Besonderheiten im Alter“, so der Experte vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im Projektverlauf konnte zudem beobachtet werden, dass sich das Wohlbefinden vieler Teilnehmer besserte und sich die kognitive Leistungsfähigkeit stabilisierte.
Mit für den Projekterfolg verantwortlich war die die Optimierung von Transparenz und Kommunikation durch eine Online-Plattform: „Rund 96 Prozent der Probanden bei Intherakt waren bei mehreren Ärzten in Behandlung. Für uns als Hausärzte ist der genaue Überblick entscheidend für die Beurteilung der Gesamtsituation“, so Dr. Ralf Becker vom Hausärzteverbund Münster. „Es gab durchaus Fälle, bei denen von 13 auf acht Medikamente reduziert werden konnte, weil der behandelnde Hausarzt auch einen genauen Einblick in sämtliche Altverordnungen durch andere Kollegen hatte“, berichtet der Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Geriatrie. Da bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer Medikamente das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen steige, sei hier die Zusammenarbeit der beteiligten Berufsgruppen sehr wichtig.
Die Hausärzte bewerteten sowohl die ständige Datenverfügbarkeit als auch das Handling als sehr positiv: „Jede eingetragene Änderung der Befindlichkeit eines Probanden wird sofort angezeigt. Statt jeder Menge Arztbriefe und Faxe oder mühseligem Telefonkontakt liefert die Plattform aktuelles Wissen in Echtzeit und erspart zudem eine erhebliche Menge an Dokumentationsaufwand für alle Parteien“, sagt Becker.
Die Plattform ist inzwischen zum Patent angemeldet. „Die Vorteile der Plattform liegen auf der Hand“, erläutert der Projektleiter. „Alle beteiligten Berufsgruppen konnten jederzeit und passend zu ihrem Arbeitsalltag die Datenlage analysieren, ihre Bemerkungen machen oder Änderungsvorschläge einbringen.“ Die Zusammenarbeit wurde dadurch erleichtert und effizienter: Laut Osterbrink schätzten alle Beteiligten des Projekts die schnelle Kommunikation, die umfassende Datenbasis und die perfekte Dokumentation.
„Mehr interprofessionelle Zusammenarbeit, mehr Technik, mehr Standardisierung“, so fassten die Experten das Ergebnis auf dem Deutschen Schmerzkongress zusammen. Auch wenn das Projekt bislang erfolgreich verlaufen ist, gibt es laut Osterbrink dennoch verbesserungswürdige Aspekte wie beispielsweise Vereinheitlichung der Dokumentation in der Pflege, die Zusammenarbeit der Ärzte verschiedener Fachgruppen oder der regelmäßige Austausch zwischen Arzt und Apotheker.
Die gemeinsamen Schulungen hätten zudem das Verständnis und die Wertschätzung füreinander gefördert. „Auf diesem Weg wollen wir weitergehen. Der Patentschutz der Online-Plattform ist für uns ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg, dieses System für die Zukunft der Altenpflege weiter zu etablieren“, so der Projektleiter.
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