Vom Oktopus inspiriert

Injektion adė: Wirkstoffe per Saugnapf verabreichen Sandra Piontek, 05.10.2023 12:18 Uhr

Die Saugnäpfe des Oktopus waren Vorbild für die Forschung. Foto: Chiara Sakuwa-stock.adobe.com
Berlin - 

Ein Lichtblick für Patient:innen, die täglich Medikamente per Injektion verabreichen müssen: Forschende haben ein sogenanntes Saugnapf-System entwickelt, durch das Wirkstoffe über die Mundschleimhaut in den Körper gelangen. Arzneimittel, die bisher injiziert werden mussten, könnten nun auch auf diesem Weg appliziert werden.

Tiere sind nicht selten Inspiration oder Vorbild für die Forschung in Medizin und Technik. Auch für das sogenannte Saugnapf-System stand ein Meerestier Pate: der Oktopus. Nach dem Vorbild der Krakensaugnäpfe entwickelten Forscher:innen ein Saugpflaster, das die Mundschleimhaut dehnt und mit Hilfe eines zusätzlichen Permeationsverstärkers so für eine erhöhte Absorption sorgt.

Proteine, Peptide und andere makromolekulare Arzneimittel werden im Allgemeinen nicht gut über den Magen-Darm-Trakt absorbiert und müssen deshalb parenteral gegeben werden. Das Problem: Trotz ihrer Wirksamkeit erfordernd diese Medikamente aufgrund ihres hohen Molekulargewichts und ihrer relativen Instabilität eine Applikation, die den Magen-Darm-Trakt umgeht.

An Hund und Mensch getestet

„In dieser Studie haben wir eine innovative Technologie zur Steigerung der Arzneimittelabsorption durch die synergetische Kombination einer nichtinvasiven Dehnung der Mundschleimhaut mit Permeationsverstärkern eingeführt. Inspiriert durch die einzigartigen Strukturmerkmale von Oktopussaugern wurde ein selbstapplizierbares Saugpflaster entwickelt, das eine starke Haftung am Schleimhautgewebe und eine effektive mechanische Verformung des Schleimhautgewebes ermöglicht“, so Studienautor Zhi Luo, Technische Hochschule Zürich in der Veröffentlichung der Ergebnisse auf „Science translational Medicine“. „Bei Hunden erreichte dieses Saugpflaster eine um bis zu zwei Größenordnungen höhere Bioverfügbarkeit als die kommerzielle Tablettenformulierung von Desmopressin, einem Peptidarzneimittel, das für seine schlechte orale Absorption bekannt ist“, so der Forscher weiter.

Der rund ein Zentimeter breite und sechs Millimeter hohe Saugnapf der ETH-Forschenden wird von den Patient:innen mit zwei Fingern an die Wangenschleimhaut gedrückt. Durch den entstehenden Unterdruck wird die Schleimhaut in einen Hohlraum gesaugt, wobei sie sich ausdehnt. So wird sie durchlässiger für die Wirkstoffformulierung, die sich im kuppelförmigen Saugnapf befindet. Getragen wird der Saugnapf für ein paar Minuten an der Innenseite der Wange.

Einen ersten Test des Saugpflasters haben die Wissenschaftler:innen bereits auch am Menschen durchgeführt. Sie stellten fest, dass eine kurzfristige Verwendung für die Teilnehmer:innen akzeptabel war. „Die allermeisten der 40 teilnehmenden Probanden gaben an, dass sie die neue Verabreichungsform einer Injektion deutlich vorziehen würden“, so das Fazit der Forschenden. Darüber hinaus wurde ohne weitere Optimierung eine systemische Exposition erreicht, die mit der der zugelassenen oralen Semaglutid-Tablette vergleichbar war.

Bald marktreif

Nevena Paunović, selbst Pharmazeutin und Studienautorin, wird das Projekt von nun an als Pioneer Fellow vorantreiben. Das Pioneer Fellowship Programm der ETH Zürich unterstützt junge und ambitionierte Forschende, eine innovative Idee zu einem marktreifen Produkt respektive einer Dienstleistung zu entwickeln. „Wir haben einen Prototyp und eine Technologie, die bereits patentiert ist. Als nächstes gilt es, den Saugnapf so produzieren, dass er den gängigen pharmazeutischen Vorschriften gerecht wird“, sagt die Wissenschaftlerin.