Flaute bei Grippeimpfstoffen Patrick Hollstein, 10.02.2017 14:08 Uhr
Die Grippewelle rollt. Wer älter als 60 Jahre ist, sollte sich rechtzeitig impfen lassen. Doch der demographischen Entwicklung zum Trotz: Die Zahl der ausgelieferten Grippeimpfstoffe ist seit Jahren rückläufig. Das belegen Zahlen von IMS Health.
Von der alljährlich mehr oder weniger stark auftretenden Grippe betroffen sind vor allem Personen mit gesundheitlicher Gefährdung und ältere Menschen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt daher für diese Gruppen eine jährliche Impfung gegen saisonale Influenza, genauso wie für Menschen mit einem erhöhten beruflichen Ansteckungsrisiko.
Da aufgrund des demografischen Wandels der Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung wächst, sollte auch die Nachfrage nach Grippeimpfstoffen steigen. Aber Fehlanzeige: Nach IMS-Zahlen ist die Anzahl der Impfdosen in den vergangenen acht Jahren um 35 Prozent zurückgegangen.
Wurden 2009 noch 20,5 Millionen Dosen ausgeliefert, waren es im vergangenen Jahr nur noch 13,2 Millionen. Die stärksten Rückgänge gab es 2010 und 2012, als im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr 17,5 beziehungsweise 12,8 Prozent weniger Dosen ausgeliefert wurden. Nur 2013 gab es einen leichten Zuwachs um 2,3 Prozent. Seitdem war der Absatz rückläufig, mit sich abschwächender Tendenz. Spezielle Lieferwege wurde in der Statistik nicht berücksichtigt.
Die meisten Impfstoffe werden laut IMS in die großen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen geliefert. Am wenigsten Impfstoffe gehen nach Rheinland-Pfalz und ins Saarland sowie nach Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.
Wie hoch die Impfquote ist, hängt vom Bundesland ab: In den wesentlichen Vorbeugemonaten August bis Oktober zeigt sich laut IMS für 2016 lediglich im Kammerbezirk Nordrhein eine Zunahme von rund 8 Prozent und eine Stagnation in Baden-Württemberg. In den übrigen Bundesländern ist die Mengenentwicklung in unterschiedlichem Ausmaß rückläufig: am stärksten in Niedersachsen (minus 8 Prozent), am schwächsten in Brandenburg (minus 1 Prozent).
Laut IMS erklären sich diese Unterschiede durch gesundheitspolitische Steuerungsmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigungen, unterschiedliche Arten von Verträgen der Krankenkassen über Grippeschutzimpfstoffe sowie die Art der Vakzine – quadrivalente Wirkstoffe gelten tetravalenten Stoffen hinsichtlich der Wirksamkeit als überlegen, werden aber nicht überall erstattet.
Als Ursache für die Entwicklung sehen sowohl IMS als auch andere Experten aber vor allem die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung. Grippe werde vielfach als harmlose Erkrankung gesehen, für die man sich nicht stundenlang in ein überfülltes Wartezimmer setzen müsse – wo man noch dazu Gefahr laufe, sich bei anderen Patienten anzustecken. Die Impfung in der Apotheke wie in Italien oder in der Schweiz könne die Quoten verbessern, werde aber vor allem von den Ärzten verhindert.
Laut einer älteren Erhebung des vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) herausgegebenen Versorgungsatlas' wird die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Durchimpfungsrate von 75 Prozent bei den Senioren weit verfehlt: Sie betrug für das Jahr 2013 nur 38 Prozent. Auffallend sind darüber hinaus die regionalen Unterschiede. In den alten Bundesländern sind die Impfraten mit 33 Prozent niedriger als in den neuen (54 Prozent).
Lieferengpässe gibt es laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in dieser Saison noch nicht. 2015/16 waren die Vakzine bereits im Herbst vergriffen: Influsplit Tetra von GlaxoSmithKline (GSK) war bereits im Oktober ausverkauft. Und auch AstraZeneca hatte die Zehnerpackung Fluenz Tetra bereits kurz nach dem Start vollständig an den Großhandel ausgeliefert. Einzeldosen des Nasensprays gab es überhaupt nicht.
Der Empfehlung des PEI zu folgen, auf andere Hersteller auszuweichen, war schwierig bis unmöglich. Hexal konnte seinen Impfstoff Begripal seit Mitte Oktober nicht mehr anbieten – kurz darauf war auch der zweite Impfstoff Optaflu ausverkauft. Influvac von Mylan war ebenfalls in keiner Packungsgröße mehr erhältlich. Sanofi Pasteur MSD konnte Vaxigrip in Packungen mit einer und zehn Impfdosen nicht mehr liefern. So standen mit Afluria (CSL), Xanaflu (Mylan) und dem Grippeimpfstoff von Stada nur drei Impfstoffe nicht auf der PEI-Liste der Lieferengpässe.
In den vergangenen Jahren hat sich der Markt rasant konsolidiert. Hatte der führende Hersteller 2013 noch einen Anteil von 35 Prozent, waren es zuletzt 78 Prozent. Die Nummer 2 kommt nur noch auf 14 statt 22 Prozent, die Nummer 3 auf 4 statt 11 Prozent. Die Nummer 5 ist nicht mehr mit 6, sondern nur noch mit 1 Prozent vertreten. Der Rest ist von 12 Prozent in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Aktuell gibt es fünf Hersteller, 2013 waren es nach Daten von IMS noch doppelt so viele.
Mylan hatte den Geschäftsbereich vom Mutterkonzern Abbott übernommen und ist mit den in den Niederlanden hergestellten Vakzinen Influvac (mit Kanüle) und Xanaflu (ohne Kanüle) mittlerweile in zahlreichen Bundesländern Rabattpartner der Kassen. Bei den jüngsten Ausschreibungen bis 2019 war Mylan teilweise der einzige Bieter überhaupt.
Seqirus, mittlerweile unter dem Namen bioCSL firmierend, hat neben Afluria die ehemaligen Hexal-Vakzine Begripal und Fluad im Sortiment. Aktuell hat Seqirus mehrere Rabattverträge für den Impfstoff ohne Kanüle, sodass das Geschäft anziehen könnte.
Sanofi Pasteur ist mit Vaxigrip vertreten. Seit dem Verlust von Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt im Sommer dürfte der Marktanteil aber deutlich gesunken sein; ein Ende des negativen Trends ist nicht in Sicht: Bei den jüngsten Ausschreibungen der Kassen bis 2019 musste der Hersteller weitere Bundesländer abgeben. Zum Jahreswechsel hatten sich Sanofi und MSD Sharp & Dohme getrennt, der Grippeimpfstoff ging zurück an Sanofi.
Ratiopharm und Stada hatten sich 2015 beziehungsweise 2016 zurückgezogen. Zusätzlich gibt es noch den nasalen Impfstoff Fluenz (AstraZeneca) und den tetravalenten Impfstoff Influsplit tetra (GlaxoSmithKline), die aber bislang nur in der Nische eine Bedeutung haben. Fluenz wird zwar von den Kassen mittlerweile übernommen, aber nur für Kinder von 2 bis 18 Jahren eingesetzt.
Nicht angeboten werden derzeit die aus Zellkulturen hergestellten Impfstoffe Optaflu (Seqirus) und Preflucel (Baxter) sowie die für Senioren gedachte und intradermal zu applizierende Vakzine Intanza (Sanofi).