Experten uneins bei Masern-Impfung APOTHEKE ADHOC, 24.03.2015 09:08 Uhr
Im Zuge der massiven Masernwelle in Berlin hat der Impfbeirat der Hauptstadt Eltern dazu aufgerufen, Babys schon mit neun Monaten impfen zu lassen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt standardmäßig die Impfung ab dem elften Monat, in manchen Fällen sei eine vorgezogene Impfung aber ratsam. In Sachsen gibt es abweichende Vorgaben; auch einige Ärzte zweifeln an der Wirksamkeit der frühen Impfung.
Laut den STIKO-Empfehlungen soll die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) mit einem Kombinationsimpfstoff in der Regel im Alter von 11 bis 14 Monaten erfolgen. Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres soll die zweite Impfung folgen. Werden Babys vor dem Alter von elf Monaten geimpft, muss die zweite MMR-Impfung schon zu Beginn des zweiten Lebensjahres erfolgen. Im ersten Lebensjahr können persistierende mütterliche Antikörper die Impfviren neutralisieren.
An diese Empfehlung halten sich die Bundesländer in der Regel, nur Sachsen geht einen Sonderweg: Die Impfkommission des Landes empfiehlt, erstmals zwischen dem 13. und dem 24. Monat zu impfen. Die zweite Impfung solle zwischen vollendetem 5. und 6. Lebensjahr verabreicht werden. „So wollen wir den Booster-Effekt weiter nach hinten verschieben“, sagt Dr. Sophie-Susann Merbecks von der Landesuntersuchungsantalt für das Gesundheits- und Verterinärwesen.
Die erste Impfung schütze zu 90 bis 95 Prozent, die zweite zu rund 5 Prozent. In Sachsen gebe es nicht so viele Masern-Fälle, „wir können es uns daher leisten, in 'Friedenszeiten' die zweite Impfung nach hinten zu verlagern.“ Laut Merbecks empfehlen die meisten europäischen Länder aus diesem Grund, die zweite Impfung erst ab dem sechsten Lebensjahr zu verabreichen. Im Ausbruchsfall könne der Zeitpunkt jederzeit vorgezogen werden. Auch in Sachsen gebe es aktuell mehr Masern-Fälle. Jedoch seien alle Erkrankten ausnahmslos ungeimpft gewesen.
Säuglinge, die in eine Gemeinschaftseinrichtung aufgenommen werden oder möglicherweise mit Masernkranken in Kontakt kommen können, sollen bereits ab dem siebten Monat geimpft werden. In diesen Fällen ist laut Sächsischer Impfkomission eine zusätzliche MMR-Impfung im Alter von 12 bis 15 Monaten erforderlich. Erst beide Dosen gemeinsam gelten als Erstimpfung.
Die STIKO empfiehlt eine Impfung bei Säuglingen zwischen sechs bis acht Monaten dagegen nur in Ausnahmefällen nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung. Zudem sollten die Geimpften zum Aufbau einer langfristigen Immunität zwei weitere Dosen MMR-Impfstoff im zweiten Lebensjahr erhalten.
In Fällen, in den Säuglinge in Kitas gegeben werden, empfiehlt die STIKO ein Alter von neun Monaten für die erste MMR-Impfung. Für noch jüngere Säuglingen fehlen umfassende Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit, sodass die Ungeimpften in einem Ausbruchsgeschehen in erster Linie durch Impfungen der Kontaktpersonen in der Umgebung geschützt werden sollen.
Säuglinge, die jünger sind als neun Monate, könnten aber nach Kontakt zu Masernkranken nach entsprechender individueller Risiko-Nutzen-Abwägung auch Immunglobuline zum Schutz erhalten. Nach dieser passiven Immunisierung sei die MMR-Impfung für fünf bis sechs Monate nicht sicher wirksam.
Unter Medizinern gibt es verschiedene Auffassungen zum optimalen Zeitpunkt für die Impfungen. Laut dem Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung spiegelt die STIKO-Empfehlung den frühest möglichen Zeitpunkt wieder, zu dem akzeptable Antikörper gebildet werden können.
Einer kanadischen Studie zufolge sei die Wahrscheinlichkeit, trotz Impfung zu erkranken, bei Impfbeginn vor dem 15. Lebensmonat etwa fünfmal so hoch wie bei den Kindern, die erst später geimpft würden, so die Mediziner. Die besten Ergebnisse habe die Erstimpfung im Alter von 18 bis 23 Monaten gezeigt.
„Offensichtlich spricht das Immunsystem in den ersten 15 Monaten nicht optimal auf die Masernimpfung an“, so der Verein. „Das gegenwärtige Impfschema setzt also eine beträchtliche Anzahl von Geimpften der Gefahr von Masern im Erwachsenenalter aus, mit hohem Komplikationsrisiko.“ Demzufolge sei auch eine zweite Masernimpfung überflüssig, wenn ein Kind nach dem 15. Monat erstmalig gegen Masern geimpft wurde.
Die STIKO empfiehlt die MMR-Impfung außerdem für alle nach 1970 geborenen Erwachsenen mit unklarem Impfstatus, ohne Impfung oder mit nur einer Impfung in der Kindheit, insbesondere wenn sie im Gesundheitsdienst, in der Betreuung von Immundefizienten beziehungsweise -supprimierten oder in Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten.
Hier greift die Sächsische Impfkommission weiter: „Wir setzen das Geburtsjahr 1958“, sagt Merbecks. Bei den aktuellen Ausbrüchen gebe es einige Patienten aus den entsprechenden Jahrgängen, die erkrankt seien.