Multiresistente Keime durch Pharma-Abwasser dpa/ APOTHEKE ADHOC, 04.05.2017 17:04 Uhr
Große Antibiotika-Fabriken in Indien könnten durch mangelnde Abwasserreinigung mit zur Entstehung multiresistenter Bakterien beitragen. Das haben Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung am indischen Pharmastandort Hyderabad ergeben, die der Norddeutsche Rundfunk heute vorstellte. Danach ergaben Gewässerproben, die im November 2016 in unmittelbarer Nähe von Pharmafabriken entnommen wurden, eine teils hundert- oder sogar tausendfach höhere Konzentration von Resten von Antibiotika und auch Pilzbekämpfungsmitteln als sie bisher in deutschen Grenzwerten vorgeschlagen sind.
In Gewässern entwickelten Bakterien in kürzester Zeit Abwehrmechanismen gegen Antibiotika, erläuterte Professor Dr. Arne Rodloff, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Leipzig. Die resistenten Erreger könnten über direkten Kontakt mit diesem Wasser oder über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen, zum Beispiel den Darm, ergänzte der Leipziger Infektionsforscher Dr. Christoph Lübbert. Das könne dazu führen, dass gängige Antibiotika bei Infektionen nicht mehr anschlagen und Patienten im schlimmsten Fall sterben. Lübbert nannte die Kloake, die er in Hyderabad nahe der Fabriken sah, einen „Bioreaktor unter freiem Himmel“ und ergänzte: „Das ist eine Globalisierung der Erreger.“
Die Ausbildung der Resistenzen gilt nicht allein für die indische Bevölkerung, sondern auch für Reisende als Problem. Zahlreiche Indien-Touristen kehrten mit multi-resistenten Bakterien zurück, die sie vorher nicht hatten, heißt es in der Fernseh-Dokumentation. Sie wird unter dem Titel „Der unsichtbare Feind – Tödliche Supererreger aus Pharmafabriken“ am kommenden Montag (22.45 Uhr) in der ARD ausgestrahlt. Dass im Abwasser einer Fabrik multiresistente Keime gefunden worden seien, schrieb die Süddeutsche Zeitung bereits im vergangenen November unter Berufung auf eine britische Studie.
Die für die Dokumentation befragten oder daran beteiligte Wissenschaftler wollen kein reines „Indien-Bashing“ vornehmen. So fehle es zum Beispiel in Europa an Vorschriften in dem Bereich. Medikamente würden vor der Einfuhr in die EU zwar auf Qualität geprüft, Umweltaspekte in den Produktionsländern dürften Kontrolleure aber gar nicht berücksichtigen.
Der Vorwurf der Umweltbelastung durch Medikamentenproduktion in Schwellenländern sei bereits mehrfach erhoben worden, sagte Dr. Rolf Hömke, Sprecher des Verbands der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). Defizite seien möglich. Die Firmen des Verbandes hätten sich im vergangenen September deshalb auf Maßnahmen zur Rückverfolgung der Herstellung geeinigt. In den kommenden Jahren sollten Zulieferer aus Schwellenländern zum Beispiel auch auf Umweltaspekte überprüft werden. Diese Vereinbarung hätten bisher aber nicht alle deutschen Pharma-Unternehmen unterzeichnet.
Bessere Industrie- und Umweltstandards hält auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für nötig. „Dass Unternehmen das Wasser nicht mit gefährlichen Stoffen verunreinigen dürfen, muss generell gelten“, sagte er heute. „Es ist unerlässlich, dass Pharmaunternehmen ihre Abwässer entsprechend aufbereiten, und zwar überall, auch in Schwellenländern.“ Darauf müssten internationale Gremien im Wirtschafts- und Umweltbereich hinwirken. Der ARD sagte er allerdings auch: „Mit einem erhobenen Zeigefinger“ und der Androhung, die Hersteller vom europäischen Markt auszuschließen, sei das Problem nicht zu lösen. Indien und China müssten „ein eigenes Interesse bekommen, die Wirksamkeit der medizinischen Versorgung ihrer großen Bevölkerung nicht zu gefährden“.
Der Herstellerverband Pro Generika teilte dem NDR mit, er habe bereits vor einigen Monaten öffentlich auf die Abhängigkeit Deutschlands hingewiesen, „die durch den sehr hohen Anteil der Produktion von antibiotischen Wirkstoffen außerhalb der EU entstanden ist“, sowie auf die damit verbundenen Risiken.
Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) teilte dazu mit: „Pharmaunternehmen kontrollieren die Qualität ihrer Zulieferer im Ausland mindestens nach den gesetzlichen pharmazeutischen Standards, die für Deutschland gelten. Pharmaunternehmen, die Arzneimittelbestandteile aus Asien einkaufen oder dort herstellen lassen, werden den Bericht zum Anlass nehmen, auf die Einhaltung vereinbarter Umweltrichtlinien stärker einzuwirken. Die Industrie hat jedoch keinen Einfluss auf die von den jeweiligen Ländern gesetzten Umweltstandards.“
Die Autoren der Dokumentation sehen die Gründe für die Produktionsbedingungen im Ausland auch im Preiskampf auf dem Pharmamarkt. Damit Antibiotika möglichst kostengünstig angeboten werden könnten, finde die Herstellung heute zu 80 bis 90 Prozent in Ländern wie Indien oder China statt. Eines der letzten großen europäischen Werke in Frankfurt-Hoechst habe 2016 die Produktion eingestellt, sagte NDR-Autor Christian Baars.
In Indien stießen die Bedenken der Forscher auf Kritik. „Es ist Quatsch, Industrieabwässer mit dem Transfer resistenter Bakterien auf Menschen zu korrelieren. Die Vorgänge sind deutlich komplizierter“, sagte Chandra Bhushan, stellvertretender Geschäftsführer des Think Tanks Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu Delhi. Das Phänomen resistenter Bakterien gebe es weltweit. „Die USA sind der größte Konsument von Antibiotika. Dort findet man Rückstände von Antibiotika in jedem Produkt mit Hühnchenfleisch.“