Impfschaden: Gericht fordert Gutachten Patrick Hollstein, 15.08.2023 09:00 Uhr
Im Prozess um einen mutmaßlichen Corona-Impfschaden hat das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg Zweifel daran erkennen lassen, ob der Hersteller AstraZeneca ausreichend über Nebenwirkungen informiert hat. Der Zivilprozess gehört zu den ersten gegen einen Corona-Impfstoffhersteller in Deutschland.
Das Gericht stellte am Montag klar, dass es derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Haftung wegen „unvertretbarer schädlicher Wirkungen“ sehe. Dazu hätte es demnach nach der Zulassung des Impfstoffs neue Erkenntnisse geben müssen, die einer Zulassung entgegengestanden hätten. Die von der Klägerin angeführten Nebenwirkungen seien jedoch schon bei der Zulassung bekannt gewesen und berücksichtigt worden, hieß es.
Risiko nicht in der Fachinfo
Im Hinblick auf eine von der Klägerin behauptete Haftung wegen „unzureichender Arzneimittelinformation“ beabsichtigt der Senat dagegen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Man gehe derzeit davon aus, dass die Frau nicht mit dem Impfstoff der Beklagten geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation der Beklagten dargestellt gewesen wäre. Gegenstand des Gutachtens wäre die Frage, ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war.
Die Frau aus Oberfranken klagt gegen den Hersteller auf Schadenersatz. Sie hatte sich im März 2021 mit Vaxzevria impfen lassen und danach eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten. Sie kam in ein Koma und letztlich musste ihr ein Teil des Darms entfernt werden.
Knapp 870.000 Euro gefordert
Von AstraZeneca fordert sie mindestens 250.000 Euro Schmerzensgeld sowie 17.200 Euro für einen Verdienstausfall und bis zu 600.000 Euro für künftige Beeinträchtigungen. Die Anwälte von AstraZeneca schlossen einen Vergleich mit der Klägerin bislang aus.
Die 33-Jährige hatte vor ihrer schweren Erkrankung in der IT-Abteilung der Diakonie gearbeitet und wurde im Frühjahr 2021 priorisiert geimpft. Im Nachhinein nehme sie es so wahr, dass zumindest unterschwellig Druck ausgeübt worden sei, die Impfung auch wahrzunehmen, hatte die Frau zu Prozessbeginn Anfang Juli gesagt. Mit dem Wissen von heute hätte sie sich nicht mit dem Corona-Impfstoff impfen lassen.
Am Tag nach der Impfung seien erste Berichte über Thrombosen nach einer Impfung mit Vaxzevria bekannt geworden, erläuterte das Gericht zum Prozessbeginn. Am 19. März 2021 wurden Impfungen mit dem Impfstoff deshalb zeitweise ausgesetzt. Später empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko), Vaxzevria in Deutschland nur noch für Menschen über 60 Jahren einzusetzen.
Signalwirkung für andere Verfahren
Der Anwalt der Frau, Volker Loeschner, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts am Montag als Etappensieg. Von der Entscheidung gehe zudem eine Signalwirkung für andere Verfahren aus, dass Gerichte nicht ohne Gutachten über diese Thematik entscheiden könnten.
Das Landgericht Hof hatte die Klage der Frau zuvor abgewiesen, da es weder einen Produktfehler noch einen Informationsfehler im Zusammenhang mit dem Impfstoff feststellen konnte. Dagegen legte die Frau Berufung ein.
Vor dem Prozess hatte eine Sprecherin von AstraZeneca mitgeteilt: „Unser Mitgefühl gilt denjenigen, die gesundheitliche Beschwerden gemeldet haben.“ Die Patientensicherheit habe höchste Priorität. Zudem hätten die Aufsichtsbehörden strenge Standards, um die sichere Anwendung aller Arzneimittel einschließlich Impfstoffen zu gewährleisten. „Arzneimittelbehörden auf der ganzen Welt haben bestätigt, dass die Vorteile einer Impfung mit unserem Covid-19-Impfstoff Vaxzevria die Risiken der extrem seltenen potenziellen Nebenwirkungen überwiegen.“
An Gerichten in Deutschland sind zahlreiche Klagen auf Schadenersatz gegen Hersteller von Corona-Impfstoffen wegen möglicher Impfschäden anhängig. Eine rechtskräftige Entscheidung wurde bisher nicht bekannt.