Impfpflicht

Impfgegner: Der Trick mit dem Beipackzettel

, Uhr
Berlin -

Die Impfgegner geben sich noch nicht geschlagen. In ihren Internetforen, Youtube-Kanälen oder bei Impfstammtischen tauschen sie Tipps und Tricks aus, wie man der Impfpflicht entgehen kann. Man fühlt sich verfolgt in diesen Kreisen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sein Masernschutzgesetz durch den Bundestag gebracht, das nun zum 1. März 2020 in Kraft tritt. Eltern müssen dann vor der Aufnahme ihrer Kinder in Kitas oder Schulen nachweisen, dass diese geimpft sind. Bei Verstößen sollen Bußgelder bis zu 2500 Euro drohen. Für Kinder, die schon in der Kita oder in der Schule sind, ist bis 31. Juli 2021 nachzuweisen, dass sie geimpft sind oder die Masern schon hatten.

Die Impfkritiker von „Regenbogenkreis“ führen das Gesetz auf die Angstmacherei und Manipulation staatlicher Institutionen oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Vor drastischen Vergleichen schrecken die Protagonisten nicht zurück: „Es ist bitter, denn vor 1949 hatte Deutschland bereits unter einer solchen staatlichen Willkür gelitten. Staatlich erzwungene medizinische Eingriffe waren eines der übelsten Merkmale des Faschismus in Deutschland. Eine Impfwut hat sich ja bereits in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit entwickelt. Mit dem kommenden aufoktroyierten Gesetz wird ein regelrechter Impf-Faschismus in Gang gesetzt. In welcher Tradition sieht sich also Spahn?“

Aber der Gesundheitsminister ist auf der Plattform mit erkennbar verschwörungstheoretischen Ansätzen auch nur ein Rädchen im Getriebe: „Medien, Experten, Politiker, die eng mit der Industrie verkoppelt sind, nutzen die unbewusste und übernommene Angst der Menschen, die seit Ur-Zeiten Furcht vor Pest oder Pocken haben.“ Der vermeintliche Beweis: Jedes Jahr würden 500.000 Menschen an Krebs und Kreislaufversagen sterben, aber nur eine Person an Masern.

Referenz für diese Information ist Hans Tolzin, einer der bekanntesten Impfgegner, der allerdings auch hinter Aids eine andere Ursache als das HI-Virus vermutet und Ebola für eine Erfindung der Pharmaindustrie hält. Mit Tolzin tauscht sich Regenbogenkreis-Macher Matthias Langwasser in einem einstündigen Videointerview über den drohenden Impfzwang aus.

Der erste Tipp für impfkritische Eltern klingt noch halbwegs vernünftig: Wenn der Arzt das Vorhandensein von Antikörpern attestiert, weil das Kind tatsächlich schon Masern hatte, entfällt die Impfpflicht. Aber es gibt auch Wege, schutzlos der Masernimpfung zu entkommen: Zu einem erfahrenen Homöopathen gehen und eine umfangreiche Familienanamnese machen, um dann herauszufinden, welche nachvollziehbaren Kontraindikationen vorliegen könnten. „Da gibt es viele.“ Anhaltspunkte könnten Beipackzettel der Impfstoffe sowie die Fachinformation sein.

Langwasser hakt nach: „Also man würde sich einen Arzt suchen, der attestiert, dass das Kind genau von diesen Kontraindikationen betroffen ist?“ Naja, es sollte schon nachvollziehbar sein, mahnt Tolzin. Die Allergie müsse tatsächlich vorliegen, alternativ Autoimmunerkrankungen in der Familie. Weil sich der Arzt sonst selbst in Schwierigkeiten bringe, wenn er das öfter mache. Denn die Angst vor staatlichem Zwang sei insgesamt groß, seien es GEZ-Gebühren oder die Einführung von 5G (gefährliche Strahlung). Mit Spahns Gesetz würden die Gesundheitsämter zur Kontrolle ermächtigt. Und die könnten im Einzelfall „durchdrehen“ und Menschen brechen, in dem sie alle Register zögen. Mit den Strafgeldern könnten Gesundheitsämter Familien finanziell ruinieren.

Eine Nutzerin hat in einem Kommentar unter dem Text einen noch weitergehenden Tipp: „Kopiert euch nen ausgefüllten Impfpass und lasst die darin enthaltenen Stempel einfach nachmachen. Oder kauft einen Arztstempel im Ausland (manche Ärzte schenken euch ihre Stempel sogar), werdet kreativ, werdet endlich ERSCHAFFER und SCHÖPFER eurer Möglichkeiten. Fangt an, euren Verstand wieder selbständig zu nutzen! Viel Einfallsreichtum und gutes Gelingen!“

Ein gern genutztes Beispiel unter den Impfgegnern ist die Masernepidemie in der Ukraine. Während des Bürgerkriegs habe es mehrere Jahre einen Impfstoff-Mangel gegeben und in der Folge einen Einbruch der Durchimpfungsraten. Das belegen Zahlen der WHO: Die Rate der MMR-Durchimpfung ist von 95 Prozent im Jahr 2008 auf 31 Prozent im Jahr 2016 gefallen. In der Analyse gehen Impfkritiker und WHO allerdings auseinander. Während laut WHO eine groß angelegte Impfkampagne gestartet wurde, um die Rate wieder zu steigern, ist diese Kampagne aus Sicht der Kritiker überhaupt erst Ursache der steigenden Todesfallzahlen gewesen. „2017 veranlasste die ukrainische Regierung, die versäumten Impfungen flächendeckend nachzuholen. Daraufhin explodierten die Fallzahlen der Masern-Erkrankungen“, so die Theorie der Impfgegner.

Und Daniel Prinz, Impfkritiker und Autor des Buches „Wenn das die Menschheit wüsste...“, schreibt: „Viele Impfschäden treten aber erst nach Jahrzehnten auf, wenn Krankheitssymptome nicht mehr im Zusammenhang mit Impfungen gebracht werden können, was natürlich so beabsichtigt ist.“

Die Impfgegner sehen sich einer ihnen feindlich gesonnen Politik ausgeliefert: „Jens Spahn will das, was die Pharmaindustrie will. Er verletzt mit seiner Profitgier, die er über das Wohlergehen unserer Kinder stellt, seinen Eid als Minister. Er hat geschworen, die Würde des Menschen vor der Willkür staatlicher Gewalt – auch vor ihm selbst – zu schützen“, heißt es bei Regenbogenkreis.

Tolzin äußert im Videointerview einen Vorschlag: „Irgendwie müssen wir es schaffen, dass diese Schwachköpfe im Bundestag ersetzt werden.“ Denn beim Gros der Abgeordneten sieht er keine Hoffnung auf Einsicht. Und man müsse sich besser vernetzen und mit Gleichgesinnten austauschen. Denn: „Wenn man alleine ist im weiten Umfeld, alle sind impffanatisch, man ist der Einzige… ist schwierig.“

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Neuere Artikel zum Thema
Mehr aus Ressort
Benzolbildung verhindern
BPO besser im Kühlschrank lagern
FDA bezweifelt Wirksamkeit
Orales Phenylephrin vor dem Aus?

APOTHEKE ADHOC Debatte