Immunzellen auf Abwegen APOTHEKE ADHOC, 20.01.2009 11:36 Uhr
Bei der Suche nach den Ursachen der Multiplen Sklerose (MS) sind Forscher aus Würzburg und Madison (USA) einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Das Team um Dr. Heinz Wiendl und Professor Dr. Zsuzsanna Fabry entdeckte, dass die dendritischen Zellen des Immunsystems eine Schlüsselrolle im fehlgeleiteten Angriff auf das Nervensystem einnehmen. Ihre Erkenntnisse, die jetzt im „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wurden, könnten als Grundlage einer zielgerichteten Therapie dienen, teilte die Universität Würzburg mit.
„Wir haben im Tierversuch herausgefunden, dass sich der Krankheitsverlauf immer dann deutlich verschlechtert, wenn im Gehirn eine erhöhte Anzahl von dendritischen Zellen anzutreffen ist“, erklärt Wiendl. Sie sorgen den Forschern zufolge jedoch dafür, dass große Menge von weiteren Immunzellen, so genannte Effektor-Zellen, ins Nervensystem einwandern. Diese verursachen Entzündungen und treiben durch Anlockung weiterer Immunzellen wie beispielsweise Fresszellen die Schädigung der Myelinscheide voran.
Gleichzeitig konnten die Neurologen beobachten, dass bei ihren erkrankten Tieren die regulatorischen T-Zellen, die im Normalfall dafür sorgen, dass Entzündungen nicht ausufern, deutlich unterrepräsentiert waren: „Wir konnten zeigen, dass sich das Verhältnis von schädlichen Effektor-Zellen zu entzündungshemmenden Regulator-Zellen im Gehirn deutlich zu Gunsten der Effektor-Zellen verschoben hatte“, so Wiendl.
Der Forschergruppe ist es gelungen, die dendritischen Zellen so zu manipulieren, dass sie sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkten. Im Gegensatz zu ihren nicht-manipulierten Verwandten aktivierten sie nun nicht mehr Effektor-Zellen mit entzündungsfördernden Botenstoffen, sondern solche Zellen, die Entzündungsprozesse unterdrückende Signalmoleküle produzieren. „Obwohl wir in den so behandelten Tieren immer noch eine erhöhte Anzahl von T-Zellen im Gehirn identifizieren konnten, hatten sich ihre Eigenschaften geändert“, erklärt Wiendl.
Klinisch betrachtet bewirke diese Manipulation eine generell niedrigere Erkrankungsrate sowie eine deutliche Verbesserung der Krankheitssymptome. Somit könnten diese Erkenntnisse nach Ansicht der Forscher die Grundlage für eine Therapie der Multiplen Sklerose bilden, die an den dendritischen Zellen ansetzt. „Bis es allerdings eine solche spezifische Therapie gibt, die auch beim Menschen zum Einsatz kommen kann, werden wohl noch einige Jahre vergehen“, dämpft der Neurologe allzu große Erwartungen. Auf alle Fälle trage das Forschungsergebnis jedoch dazu bei, die Vorgänge, die zu MS führen, besser zu verstehen als bisher.
MS ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, die meist im frühen Erwachsenenalter beginnt und die sehr unterschiedliche Verläufe nehmen kann. Nach aktuellen Schätzungen sind weltweit circa 2,5 Millionen Menschen von MS betroffen; in Deutschland leben nach derzeitigen Hochrechnungen rund 122.000 Erkrankte; jährlich werden etwa 2.500 Fälle neu diagnostiziert. Frauen erkranken beinahe doppelt so häufig wie Männer.