Brokkoli stabilisiert das Immunsystem Dr. Kerstin Neumann, 21.05.2016 08:26 Uhr
Ein Forscherteam der Universität Bonn hat aufgeschlüsselt, wie Nahrungsbestandteile und Umweltfaktoren das Immunsystem beeinflussen. Verschiedene Kohlenwasserstoff-Verbindungen stabilisieren demnach ein empfindliches System im Darm, den sogenannten Ah-Rezeptor und seinen Gegenspieler, den Ah-Rezeptor-Repressor. Bei bakteriellen Infektionen gerät dieser Regler leicht aus dem Gleichgewicht – es kann zu gefährlichen Komplikationen kommen. Unter anderem der regelmäßige Genuss von Brokkoli soll dem entgegensteuern können. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Scientific Reports“ präsentiert.
Der Darm dient in erster Linie der Verdauung, muss aber auch rund um die Uhr für die Abwehr von Krankheitserregern und Umweltschadstoffen Höchstleistungen erbringen. Denn alles, was mit der Nahrung aufgenommen wird, landet schließlich im Verdauungstrakt. „Der Darm übernimmt eine wichtige Barrierefunktion, damit möglichst keine schädlichen Organismen und Substanzen diese Bastion überwinden“, sagt Professor Dr. Irmgard Förster, die am Life and Medical Sciences (LIMES) Institut der Universität Bonn den Zusammenhang zwischen Immunologie und Umwelt erforscht.
Das Immunsystem im Darm muss ständig austariert werden: Ist seine Antwort zu schwach, haben Erreger und Schadstoffe leichtes Spiel. Schießt die Immunreaktion über, kann es zu gefährlichen Entzündungen – zum Beispiel einer Kolitis – bis hin zum lebensbedrohlichen septischen Schock kommen.
In dieser Feinjustierung des Immunsystems im Darm spielt der „Ah-Rezeptor“ (Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor) eine wichtige Rolle. An diesen Rezeptor können ganz verschiedene Substanzen binden und so immunologische Signalketten in Gang setzen. Dazu gehören aromatische Kohlenwasserstoffe, die beispielsweise durch den Abbau von Nahrungsbestandteilen entstehen, aber auch Umweltgifte wie Dioxine.
Der Ah-Rezeptor hat einen Gegenspieler, den Ah-Rezeptor-Repressor, der die Effekte inhibieren kann. „Gemeinsam sorgen beide dafür, dass es zu einer angepassten Immunantwort kommt“, erklärt Dr. Heike Weighardt. Die Funktionsweise des Ah-Rezeptor-Repressors war bislang weitgehend unbekannt. Zusammen mit Wissenschaftlern aus Düsseldorf und Tokio haben die Forscher des LIMES-Institutes und des Exzellenzclusters ImmunoSensation der Universität Bonn nun erforscht, wie das Zusammenspiel des Ah-Rezeptors und des Repressors funktioniert.
Das Wissenschaftlerteam ersetzte bei Mäusen das Gen für den Ah-Rezeptor-Repressor durch eines für ein grün fluoreszierendes Protein. „Immer dann, wenn eigentlich das Gen für den Repressor aktiv werden sollte, leuchtete das fluoreszierende Protein“, sagt Doktorand Oliver Schanz, einer der Erstautoren der Studie.
Es zeigte sich, dass der Repressor in den Immunzellen des Darms immer dann besonders aktiv war, wenn auch der Ah-Rezeptor auf Hochtouren arbeitete. „Unsere Daten zeigen, dass für eine ausgewogene Immunantwort beide Gegenspieler erforderlich sind“, so Förster.
Schießt das Immunsystem über, drohen Komplikationen bis hin zu Kreislaufversagen und Organschädigungen. Als das Forscherteam bei Mäusen das Gen für den Ah-Rezeptor-Repressor ausschaltete, zeigten sich die Tiere daraufhin vor einem septischen Schock geschützt. Dagegen führte eine Überfunktion des Ah-Rezeptor-Repressors wie auch des Ah-Rezeptors selbst zu einer erhöhten Empfindlichkeit für chronische Darmentzündungen.
Rezeptor und Repressor üben gemeinsam Effekte auf die Produktion von immunstimulierenden Substanzen wie Interleukin-1beta oder Gamma-Interferon. „Nur wenn Ah-Rezeptor und Ah-Rezeptor-Repressor im Gleichgewicht sind, kommt es zu einer angepassten Immunantwort“, schließt Weighardt aus diesen Befunden.
Die Studie zeige, dass die Ernährung einen großen Einfluss auf das Immunsystem haben könne, betonen die Wissenschaftler. Wenn Gemüse – beispielsweise Brokkoli – viele Substanzen enthält, die an den Ah-Rezeptor binden und damit den dazugehörenden Repressor aktivieren, dann stabilisiert dies möglicherweise das Immunsystem im Darm. „Inwieweit die an Tieren untersuchten Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, muss aber noch weitergehend erforscht werden“, sagt Förster.