Knochenmark und Schädeldecke

Immunabwehr: Kommandozentrale in Tumornähe

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Berlin -

Glioblastome sind extrem aggressive und oft unheilbare Hirntumoren. Trotz intensiver Therapie haben Betroffene eine durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als zwei Jahren. Forschende des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) am Westdeutschen Tumorzentrum Essen entdeckten jetzt hochpotente Immunzellen im Knochenmark der Schädeldecke in der Nähe der Tumoren, die eine entscheidende Rolle in der Krebsabwehr spielen. Die Studie wurde kürzlich im Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlicht.

„Was wir gefunden haben, ist überraschend und grundsätzlich neu“, erklärt Björn Scheffler, DKTK-Forscher am Standort Essen. Denn: Bislang dachte man die körpereigene Abwehr immer als ganzheitliches System, das seine Truppen je nach Bedarf in verschiedene Körperregionen aussendet. „Unsere Daten zeigen jedoch, dass sich hochpotente Immunzellen in regionalen, tumornahen Knochenmarknischen sammeln und von dort aus die Abwehr organisieren.“

Auf Grundlage neuer tierexperimenteller Erkenntnisse haben die Forschenden Gewebeproben aus dem tumornahen Knochenmark der Schädeldecke bei unbehandelten Patienten mit Glioblastom entnommen. „Die Methoden dazu mussten aber erst etabliert werden“, berichtet Erstautorin Celia Dobersalske und unterstreicht die Tatsache, dass die neuen Forschungsergebnisse an Gewebeproben von Menschen gewonnen wurden.

Basis der Tumorabwehr

Knochenmarknischen in unmittelbarer Nähe zum Glioblastom scheinen als Reservoir für die Rekrutierung der Tumorabwehr zu dienen. Neben aktiven lymphoiden Stammzellen, die sich zu Immunzellen entwickeln, entdeckten die Forschenden im tumornahen Knochenmark auch reife zytotoxische T-Lymphozyten, kurz CD8-Zellen. „Das sind hocheffektive Immunzellen, die bei der Krebsabwehr eine zentrale Rolle spielen“, ergänzt Dobersalske. Sie können entartete Zellen erkennen und vernichten.

Die CD8-Zellen im tumornahen Knochenmark waren vermehrt mit Rezeptoren ausgestattet, die das Ausschwärmen reifer T-Lymphozyten steuern. Passend dazu wurden Abkömmlinge derselben Zellklone sowohl im Knochenmark als auch im Tumorgewebe nachgewiesen. Dies deutet laut der Forschenden klar darauf hin, dass die vor Ort versammelten Immunzellen das Glioblastom bekämpfen. „Und sie sind – eine Zeit lang zumindest – erfolgreich“, so Scheffler. „Wir konnten zeigen, dass die Krankheitsverläufe mit der Aktivität der ortansässigen CD8-Zellen korrelieren.“

Umdenken in der Behandlung

Dieser Fund stellt nicht nur herkömmliche Vorstellungen von der Arbeitsweise des Immunsystems auf den Kopf. Auch die Behandlungskonzepte beim Glioblastom müssen angesichts der neuen Daten überdacht werden. „Wir hatten die Schädeldecke bei unseren Überlegungen bislang gar nicht auf dem Schirm. Wie auch, es gab ja keinerlei Hinweise, dass sich dort hochpotente Immunzellen verbergen könnten“, sagt Studienleiter Scheffler.

„Wir haben also die Schädeldecke eröffnet und dabei möglicherweise wertvolle Immunzellen zerstört“, bestätigt Ulrich Sure, Direktor der Klinik für Neurochirurgie und Mitglied des Essener Forscherteams. „Angesichts der neuen Erkenntnisse befinden wir uns in einem Dilemma: Wir müssen den Zugang zum Tumor erlangen, um ihn zu entfernen und auch um die Diagnose sichern zu können. Es gibt aktuell keinen anderen Weg als durch die Schädeldecke. Aber wir denken darüber nach, wie wir künftig Schäden am lokalen Knochenmark minimieren können.“

Lokales Immunsystem im Fokus

Andererseits eröffnet die Entdeckung des lokalen Immunsystems Chancen für innovative Therapien. Speziell die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren kommen wieder ins Spiel. Das sind Immuntherapeutika, die darauf abzielen, die körpereigene Krebsabwehr in Schwung zu bringen. Bisher getestete Checkpoint-Inhibitoren zeigen allerdings bei Glioblastomen wenig Wirkung.

„Dafür wurden unterschiedliche Erklärungen vorgeschlagen, aber vielleicht muss man auch in dieser Hinsicht ganz neu denken“, so Scheffler. „Wir wissen jetzt, dass sehr wohl hochpotente Abwehrzellen vor Ort versammelt sind. Sie sind fit für die Tumorbekämpfung, das konnten wir nachweisen, aber sie sind allein nicht in der Lage, den Tumor zu zerstören. Hier können wir ansetzen.“

Eine Herausforderung werde sein, Wirkstoffe in ausreichender Konzentration zum richtigen Zeitpunkt in die regionalen Knochenmarknischen zu bringen. „Wenn das gelingt, haben wir vielleicht eine Chance, das Wachstum von Glioblastomen unter Kontrolle zu bringen und die Überlebenschancen unserer Patienten zu verbessern.“

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