Die andauernden Lieferengpässe halten die Apotheken in Atem. Und am Beispiel von Ibuprofen zeigt sich einmal mehr, dass Deutschland auf Turbulenzen am Weltmarkt längst nicht vorbereitet ist. Die Verantwortlichen irrlichtern auf der Suche nach Informationen umher, auch weil ihnen Befugnisse fehlen. Das Engpassmanagement beschränkt sich darauf, den Problemen hinterher zu jagen.
Vom Ausfall der Ibuprofen-Produktion bei BASF wurde auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) überrascht. Nachdem zahlreiche große Medien den Beitrag von APOTHEKE ADHOC aufgegriffen hatten, sah man sich in Bonn veranlasst, der Sache auf den Grund zu gehen. Die offizielle Erklärung dazu liest sich wie folgt: „Das BfArM steht mit den beteiligten Fachkreisen und insbesondere der pharmazeutischen Industrie bereits im engen Austausch, um bei Bedarf bei den beteiligten Akteuren Lösungsmöglichkeiten im Sinne der Patientenversorgung anstoßen zu können.“
Doch der tatsächliche Wortlaut der Abfrage veranschaulicht, wie hilflos selbst die zuständige Überwachungsbehörde ohne ausreichende Informationen ist. Eine Mitarbeiterin aus der verantwortlichen Abteilung verschickte in der vergangenen Woche per E-Mail einen regelrechten Hilferuf an die Hersteller-, Apotheker- und Ärzteverbände. Darin hieß es: „Im Zusammenhang mit dem Pressebericht zu einer aktuellen Verknappungssituation von Ibuprofen bitten wir um Ihre Unterstützung hinsichtlich weiterer Informationen. Dem BfArM liegen gegenwärtig keine Informationen zu einer Wirkstoffverknappung vor.“ Beim letzten Jour fixe sei in Bezug auf den damals nicht verfügbaren Ibuprofen-Saft konstatiert worden, dass es keine Produktionsausfälle gegeben habe und dass lediglich die lange Grippewelle Ursache für die Verknappung gewesen sei.
„Damit stellt sich die Frage, ob es eine Veränderung der Situation gegeben hat in der Zwischenzeit“, so die Mitarbeiterin in ihrer formlosen Mail weiter. „Es wäre sehr hilfreich Ihre Einschätzung der konkreten Situation zu erhalten und, sofern verfügbar, auch darüber hinausgehende Informationen (eventuelle Ursachen, Umfang etc.). Ließe sich das ggf. bis spätestens kommenden Dienstag realisieren?“
Doch bei den Verbänden ist die Arzneimittelbehörde offenbar an der falschen Adresse: Natürlich bemühe man sich bei Nachfragen des BfArM um Informationen; in diesem speziellen Fall lägen aber keine Hinweise vor, die die beschriebene Sachlage veränderten, so eine Sprecherin des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Meldungen zu Lieferengpässen werden von Unternehmen – wie im Pharmadialog vereinbart – direkt ans BfArM gemeldet. Das Meldeverfahren funktioniert nach Aussage des BfArM sehr gut. Sofern in wenigen Einzelfällen dem nicht nachgekommen wird, ist das nicht im Sinne des gemeinsamen Anliegens.“
Damit wäre die Abfrage wohl versandet, doch zufälligerweise findet am heutigen Mittwoch in Bonn der reguläre Jour fixe zu Lieferengpässen statt. Ibuprofen hat es neben einer Reihe weiterer Wirkstoffe auf die Tagesordnung geschafft. Teilnehmer gehen davon aus, dass das Thema viel Raum einnehmen wird.
Ob Behörde und Fachkreise am Ende des Treffens einen besseren Überblick haben, ist offen. Für die Öffentlichkeit bestimmt sind die Ergebnisse jedenfalls nicht; erst mit einigen Monaten Verspätung wird das Protokoll veröffentlicht. Beim Jour fixe soll in vertraulicher Runde auch über Probleme gesprochen werden, die möglicherweise irgendwann zu Engpässen führen – ohne dass das Thema gleich vorab die Runde macht und Fachkreise und Verbraucher aufscheucht oder gar in Panik versetzt.
So erklärt sich wohl auch der überraschend informelle Ton der Mail aus dem BfArM. Wurde die Behörde, die derzeit von Professor Dr. Karl Broich geführt wird, in der Vergangenheit gelegentlich dafür kritisiert, dass sie aufgrund von Formalien nur schwerfällig reagierte, soll bei Lieferengpässen auf kleinem Dienstweg ein schnellerer Austausch ermöglicht werden. So kommt es, dass bei akuten Problemen auch schon einmal zum Telefonhörer gegriffen und direkt beim Hersteller angerufen wird.
Das täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass das BfArM im Zusammenhang mit Lieferengpässen „auch nur mit Bordmitteln unterwegs“ ist, wie ein Branchenkenner es vorsichtig formuliert. Eine regelmäßige Auswertung der Abverkaufszahlen gibt es nicht, selbst eine systematische Auswertung der Datenbanken findet offenbar nicht statt. „Da sind die Erwartungen größer als der Zuschnitt“, heißt es aus Bonn. Im Wesentlichen gehe es darum, einen Informationsfluss sicher- und Transparenz herzustellen. „Management von Lieferengpässen“, heißt es das im Amtsdeutsch.
Die Lücken im System sind offensichtlich. Apotheker und Ärzte werden von Lieferengpässen in der Regel kalt erwischt, denn eine Meldepflicht gibt es nicht und nur wenige Wirkstoffe werden überwacht: Mehrere hundert Arzneistoffe stuft das BfArM als versorgungsrelevant ein. Gibt es bei einem Wirkstoff nur noch drei Hersteller oder Zulieferer, sind die Firmen gehalten, anstehende Engpässe, die länger als zwei Wochen andauern könnten, zu melden. Dasselbe gilt für Produkte, bei denen es in der Vergangenheit bereits einen Lieferengpass gab. Einen Anspruch auf Vollständigkeit oder Aktualität gibt es nicht. Erst wenn nur noch ein einziger Hersteller existiert, unterliegt das Medikament einer besonderen behördlichen Überwachung.
Das Problem: Eine solche Verknappung des Marktes ist bereits genau die Gefahrensituation, vor der die Generikaindustrie seit Jahren warnt. Und: Sind Medikamente wie Ibuprofen immer mal wieder defekt, zwischendurch aber in einzelnen Wirkstärken oder Packungsgrößen lieferbar, fallen sie komplett durch das Raster. Dasselbe gilt für Präparate, bei denen die Zulieferer nicht ohne Weiteres zu erkennen sind. Bei Ibuprofen sind dem Vernehmen nach beim BfArM 18 Wirkstoffanbieter gelistet – obwohl es weltweit nur noch sechs Fabriken gibt, die die Substanz synthetisieren. Selbst die Pharmafirmen haben oft keinen Kontakt zu den Lieferanten und damit kaum Kenntnis zu den Lieferwegen, weil sie selbst die fertige Ware von Lohnherstellern beziehen.
So funktioniert der globale Handel heutzutage, und natürlich ist von einer deutschen Behörde wie dem BfArM nicht zu erwarten, dass sie vertrauliche Informationen, die teilweise Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen im hintersten Winkel von China betreffen, parat hat. Zwar gibt es zahlreiche Kontrollinstrumente bis hin zu Inspektionen vor Ort. Aber die werden von den zuständigen Behörden in den Bundesländern durchgeführt, und die haben einen komplett anderen Aufgabenzuschnitt. Bestrebungen, den Austausch auf europäischer Ebene zu bündeln, gibt es zwar. Doch auf absehbare Zeit wird die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) als zentrale Anlaufstelle mit sich selbst beschäftigt sein. Nicht zu unterschätzen ist wohl auch der Selbsterhaltungstrieb des BfArM, wie dessen ehemaliger Präsident Professor Dr. Harald Schweim schon vor vier Jahren konstatierte.
Interessanterweise ist es ausgerechnet die Industrie, die Verständnis für die aktuelle Situation zeigt: Engpässe zu veröffentlichen, sei ein zweischneidiges Schwert, sagt ein leitender Manager eines Generikaherstellers. Im schlimmsten Fall gebe es Hamsterkäufe, die die Situation nur weiter verschlimmerten. „Was haben Apotheken davon, wenn sie wissen, welche Firma demnächst Probleme bekommen könnte?“ Den Kassen müssten zumindest die Rabattpartner rechtzeitig Meldung über eventuelle Ausfälle machen – sodass das Gros des Marktes abgedeckt sei.
Doch die Kassen sitzen beim Jour fixe nicht mit am Tisch, sodass diese Meldungen – zumindest auf regulärem Weg – nicht zum BfArM gelangen. Ganz abgesehen davon, dass Engpässe nicht erst dann Auswirkungen auf die Versorgung haben, wenn der Markt bereits komplett leergefegt ist. Solange die Kassen flächendeckend Apotheken retaxieren, weil sie deren Nachweisen zum Engpass nicht trauen, hat im Zweifel der Patient das Nachsehen, weil der Mensch auf der anderen Seite des HV-Tischs zuvorderst die Formalien im Blick haben muss. Apotheker, die Ibuprofen für ihre Kunden mittlerweile aus Großpackungen auseinzeln, wollen ihren Namen lieber nicht in der Presse lesen – aus Angst vor Sanktionen.
„Engpässe sind ein Dilemma, das den deutschen Markt erst noch mit voller Wucht treffen wird“, sagt ein Industrievertreter. Da bereits heute bei Ibuprofen die Nachfrage das Angebot um 10 Prozent übersteige, sei es nur eine Frage der Zeit, bis Ware nur noch gezielt an den Meistbietenden verkauft werde. Da kämen die Gesetze des Marktes zum Tragen: Angesichts der Rabattverträge seien deutsche Hersteller nicht mehr zwangsweise dabei. Und Ibuprofen sei dabei noch ein Wirkstoff, bei dem man vergleichsweise leicht Alternativen finden könnte. „Ich glaube, die ganze Dramatik haben die Verantwortlichen noch gar nicht richtig erfasst.“
Und bei Ibuprofen? BASF hat nach Angaben eines Sprechers mit kleinen Ausnahmen alle Juni-Lieferungen erfüllt. Die restlichen Vorräte werden nun „auf einer Pro-rata-Basis an Kunden in einer angemessenen Art und Weise vergeben“. Dass es in Texas tatsächlich in drei Monaten nach dem Austausch des reparaturbedürftigen Bauteils weitergeht, das laut Konzernsprecher für den Ablauf des Produktionsprozesses wichtig ist, wird von Branchenkennern bezweifelt. „Die müssen jetzt Evaluationschargen herstellen und umfangreiche Stabilitätsprüfungen durchführen. Selbst wenn wieder produziert wird: So schnell kommt da nichts aus der Quarantäne.“
Nur sechs Fabriken stellen Ibuprofen für den gesamten Weltmarkt her: Hubei Granules-Biocause und Shandong Xinhua aus China, Solara und IOLPC aus Indien sowie BASF und SI Group aus den USA. Die Marktanteile sind annähernd gleich verteilt, was für eine Auslastung der gesamten Kapazitäten spricht. Jeder der sechs Fabriken produziert zwischen 10 und 20 Prozent des gesamten Weltmarkts.
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