HPV-Impfung: Für und Wider Inga Radel, dpa, 21.12.2007 13:15 Uhr
Wohl nie bekam eine Impfung soviel TV-Werbezeit und Aufmerksamkeit. Die HPV-Impfung, die Frauen vor Gebärmutterhalskrebs schützt, ist ein Meilenstein in der Krebsprävention, da sind sich die Forscher und die Herstellerfirmen sicher. Inzwischen, gut ein Jahr nach der Zulassung des Impfstoffs, werden aber auch immer mehr kritische Stimmen laut. Überschätzt in ihrem Nutzen für die Allgemeinheit sei die Impfung, zu teuer, und bei ihrer Vermarktung werde übermäßig Angst geschürt, sagen einige Kritiker.
„Von einem Durchbruch in der Krebsprävention zu sprechen ist maßlos übertrieben““, kritisiert etwa Rolf Rosenbrock, Leiter der Forschungsgruppe Public Health am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Als elfthäufigste Krebserkrankung bei Frauen seien Gebärmutterhalstumore dank Früherkennung hierzulande - im Gegensatz zur Dritten Welt - „sehr selten“. Darüber hinaus könnten diese Krebsfälle genauso mit einem verbesserten Früherkennungssystem minimiert werden - und das „weitaus kosteneffektiver“. Theoretisch könnten bei optimaler Früherkennung 90 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verhindert werden. „Wenn eine Frau regelmäßig zur Früherkennung geht, braucht sie keine Impfung - andersherum gilt das nicht“, so Rosenbrock.
Denn die Impfung schütze eben nur gegen zwei Typen der beim Sex übertragenen Humanen Papilloma-Viren (HPV), die Studien zufolge 70 Prozent aller Gebärmutterhalskrebse verursachen. Alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren zu impfen, wie es die Ständige Impfkommission am Berliner Robert Koch-Institut (Stiko) empfiehlt, und was damit von den Kassen übernommen wird, kostet laut Bundesverband der Betriebskassen zunächst 1,1 Milliarden Euro. Später sei mit jährlichen Kosten von 180 Millionen Euro zu rechnen. Nach Angaben des Berufsverbandes der Frauenärzte vom Oktober hat sich bisher gut ein Drittel der Mädchen impfen lassen.
Der an der Entwicklung des Impfstoffs beteiligte Harald zu Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg lässt Rosenbrocks Kritik nicht gelten. „Sehr wohl“ sei die Impfung ein „Durchbruch in der Krebsprävention“, sagt er. Zum einen handele es sich weltweit um den zweithäufigsten Krebs bei Frauen, zum anderen schütze der Impfstoff auch vor den Krebs-Vorstufen, die bei der Vorsorge nur entdeckt werden könnten. 100.000 solcher Fälle gebe es bundesweit jährlich. Auch hier würden meistens Operationen nötig, die mit einer großen Belastung für die Frauen sowie Nachsorge-Terminen verbunden seien. Diese verursachten ebenfalls erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem.
Auch die Kritik, die HPV-Impfung sei im März vorschnell, ohne ausreichende Studienlage von der Stiko empfohlen worden, nennt zu Hausen „Quatsch“. Das moniert etwa Wolfgang Becker-Brünser, Herausgeber der Zeitschrift „Arznei-Telegramm“. Zwei große Studien waren zu dem Zeitpunkt noch unbeendet. Der Leiter des an der Zulassung beteiligten Paul-Ehrlich-Instituts, Johannes Löwer, sagte dazu kürzlich im Interview, sobald der Impfstoff nachweislich vor Krebs geschützt habe, sei es „ethisch schwer vertretbar zu sagen, wir warten noch länger und bieten diesen Schutz den Frauen nicht an.“
Kritiker Becker-Brünser unterstellt der Stiko zudem, bei ihrer Entscheidung nicht unabgängig gewesen zu sein. So habe der damalige Vorsitzende Heinz-Josef Schmitt wenige Monate zuvor einen mit 10.000 Euro dotierten Preis angenommen, der von Sanofi Pasteur MSD - einem der beiden Impfstoffhersteller - gestiftet wurde. Auch andere Kommissionsmitglieder stünden auf der Gehalts-Liste von Pharmaunternehmen. Das Robert Koch-Institut weist den Vorwurf eines Interessenkonflikts zurück. „Den Preis anzuführen als Begründung einer Befangenheit ist sehr bemüht“, sagt die Sprecherin Susanne Glasmacher. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums werden die Nebentätigkeiten der Stiko-Mitglieder bei deren Berufung geprüft. Die neue, vor einigen Wochen berufene Impfkommission habe zugestimmt, die Zusatzverdienste künftig auch im Internet zu veröffentlichen, sagte eine Ministeriumssprecherin.
Darüber hinaus kritisiert Becker-Brünser die breite Vermarktung des Impfstoffs - etwa die eindringliche TV-Werbung des Deutschen Grünen Kreuzes mit Jette Joop und deren Tochter. „Hier wird übermäßig Angst geschürt“, sagt der Arzt und Apotheker. Diese Befürchtung verlautet auch aus Stiko-Kreisen.
Und es gibt eine weitere Schnittmenge zwischen Kritikern und Fürsprechern der Impfung: die Preispolitik der Hersteller. Knapp 480 Euro kosten beide zugelassenen Impfstoffe hierzulande den Kassen für die drei nötigen Dosen. „Absolut gerechtfertigt und keine Utopie“ sei der Preis, sagt ein Sprecher von Sanofi Pasteur MSD - „extrem teuer“ nennt ihn dagegen Becker-Brünser. Krebsforscher zu Hausen schlägt in die gleiche Kerbe: In Deutschland möge die Impfung noch erschwinglich sein, „für die Länder in der Dritten Welt aber, gerade dort, wo die Krankheit am häufigsten sei, ist der Preis unerträglich hoch.“