Die Dosis macht das Gift – auch beziehungsweise gerade in der Homöopathie: Je mehr Tropfen oder Globuli genommen werden, desto größer ist das Risiko für Erstverschlimmerungen. So sieht es zumindest das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG), das sich in einem Rechtsstreit mit dem Hersteller Hevert Expertenmeinung eingeholt hat. Weil dagegen die Wirksamkeit aus Sicht der Richter nicht dosisabhängig ist, soll Hevert jetzt die Einnahmeempfehlung für sein Präparat „Vertigo Hevert Tropfen“ ändern. Das Unternehmen will vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig ziehen und notfalls auch Verfassungsbeschwerde einlegen.
Hevert streitet seit Jahren stellvertretend für die Branche mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über die in der Packungsbeilage angegebene Tropfenzahl. Vertigo gehört zu den sogenannten Altarzneimitteln, die eine Nachzulassung benötigen, um weiterhin vermarktet werden zu können.
Der Hersteller empfiehlt – soweit nicht anders verordnet – eine Dosierung von 10 Tropfen. Das BfArM hält höchstens 5 Tropfen für zulässig und hatte eine Anpassung zur Voraussetzung für die Nachzulassung gemacht. Im November 2009 hatte das BVerwG das erste Urteil des OVG kassiert: Zwar sei die Auflage des BfArM eigentlich rechtswidrig. Das OVG müsse sich aber erneut mit den Argumenten der Behörde auseinandersetzen und klären, ob bei der höheren Tropfenanzahl das Präparat noch unbedenklich sei.
Die Münsteraner Richter holten daraufhin ein Gutachten der sogenannten „Kommission D“ ein, die beim BfArM für homöopathische Arzneimittel zuständig ist. Diese sprachen sich gegen die höhere Tropfenzahl aus, da ein begründeter Verdacht für ein höheres Nebenwirkungsrisiko bestehe. Die Experten hätten diesen Zusammenhang hinreichend belegt, so die Richter. Der Hersteller könne zudem keine höhere Dosierung beanspruchen, wenn sich der Nutzen bereits bei einer kleineren Dosis ergebe.
Hevert hält dagegen, Erstverschlimmerungen seien nicht dosisabhängig. „Die derzeitige Dosierung ist näher an der Verordnungspraxis und lässt auch eine größere Bandbreite in der Selbstmedikation zu“, sagt Dr. Jan-Christoph Wollmann, Leiter des Bereichs Wissenschaft und Zulassung. Nur bei einer ausreichend hohen Dosierung sei die Wirksamkeit gesichert. Zudem stimmten die Vorgaben mit den Empfehlungen der Kommission D von 1993 überein.
Weil das OVG die Revision nicht zugelassen hat, hat Hevert Revisionsbeschwerde eingereicht. Sollte das BVerwG die Beschwerde nicht zulassen, will der Hersteller vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen. Das Gerichtsverfahren ist ein Musterprozess: Verfahren anderer Hersteller ruhen bis zur endgültigen Entscheidung zu Vertigo, auch für weitere Hevert-Präparate ist der Prozess wegweisend.
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