HIV: Monatliche Cabotegravir-Injektionen als Therapie Alexandra Negt, 04.06.2020 09:01 Uhr
Innerhalb der HIV-Therapie ändert sich in den letzten Jahren viel. Zahlreiche Medikamente werden aufgrund besser verträglicherer und wirksamerer Alternativen vom Markt genommen. Nun ändert sich unter Umständen auch etwas bei den Darreichungsformen: ViiV Healthcare plant, eine Injektionsspritze mit dem Wirkstoff Cabotegravir auf den Markt zu bringen. Aktuell laufende Studien lassen einen sinnvollen Einsatz als Prä-Expositions-Prophylaxe vermuten.
ViiV Healthcare musste im vergangenen Jahr bei der Wirkstoffkombination Cabotegravir/Rilpivirin bereits einen Rückschlag einstecken: Die US-Arzneimittelbehörde FDA versagte damals dem HIV-Medikament die Genehmigung mit dem Hinweis auf Herstellungs- und Kontrollprobleme. Das neuartige Behandlungsregime umfasst eine einzigartige Wirkstoffkombination und stellt eine völlig neue Therapieoption dar. ViiV hatte mit dem Medikament, das HIV-Patienten monatlich anstatt täglich per Spritze verabreicht wird, zum Wettbewerber Gilead aufholen wollen. Gileads umsatzstarke HIV-Präparate sind Biktarvy (Bictegravir, Tenofoviralafenamid, Emtricitabin) und Genvoya (Elvitegravir, Emtricitabin, Tenofoviralafenamid, Cobicistat). Nun scheint eine Zulassung der innovativen Injektions-Therapie Ende des Jahres möglich.
Studien bestätigen Überlegenheit
Die intramuskuläre Injektion von Cabotegravir hat in einer großangelegten internationalen Studie Männer, die Sex mit Männern haben, besser vor einer Infektion mit dem HI-Virus geschützt als die tägliche Einnahme der derzeitigen Standard-Therapie bestehend aus Emtricitabin/Tenofovir. Cabotegravir muss nur alle zwei Monate wiederholt gespritzt werden. Dieses Ergebnis teilte der Hersteller im Zuge des Abbruchs der Studie HPTN-083 mit. Die Partnerstudie HPTN-084, die ebenfalls in Afrika durchgeführt wird und beide PrEP-Strategien vergleicht, soll weitergeführt werden. Zu den Probanden gehören ausschließlich Frauen.
Die Kombination aus Cabotegravir und Rilpivirin soll als Ersatz zu den momentanen Standardtherapien dienen. Aktuelle Standards sind beispielsweise Biktarvy und Truvada (beide Gilead) sowie Isentress (MSD). Allen Medikamenten gemein ist die Kombination unterschiedlicher Wirkstoffe, die das HI-Virus an unterschiedlichen Stellen an der Vermehrung hemmen. Cabotegravir greift in die Integrase des Virus ein. Die Integrasehemmung verhindert die Einnistung des HIV-Genoms in das Wirtszellgenom während der Frühphase der Infektion. Mit einer Carbamoylpyridon-Struktur weist der Arzneistoff Ähnlichkeiten zum bereits zugelassenen Wirkstoff Dolutegravir (Tivicay, ViiV) auf.
Studiendesign und Ergebnisse
In der randomisierten Doppelblind-Vergleichsstudie HPTN083 bekamen insgesamt rund 4600 Männer oder Transfrauen, die jeweils Sex mit Männern haben, eine PrEP. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt die intramuskuläre Injektion von Cabotegravir (600 mg) alle zwei Monate und eine tägliche Placebo-Tablette. In der anderen Gruppe erhielten die Teilnehmer täglich eine Tablette mit 200 mg Emtricitabin und 300 mg Tenofovirdisoproxil und alle zwei Monate eine Placebo-Injektion. Der primäre Endpunkt – die Nicht-Unterlegenheit der Spritze gegenüber der oralen PrEP – wurde erreicht. Cabotegravir schnitt darüber hinaus besser ab als die orale Therapie. Insgesamt steckten sich 50 Personen mit HIV an. Zwölf stammten aus der Cabotegravir-Gruppe.
Einsatz als PrEP
Ob die Wirkstoffkombination aus Cabotegravir und Rilpivirin auch als Prä-Expositions-Prophylaxe eingesetzt wird, hängt von der Zulassung ab. Relativ sicher sei die Zulassung zur Behandlung von HIV-positiven Erwachsenen, so das Gemeinschaftsunternehmen von GSK und Pfizer – ob ViiV eine Zulassung für die Indikation PrEP bekommt, ist noch nicht klar. Als Integrase-Inhibitor greift die Injektions-Therapie an einem späteren Punkt in den Zyklus des Virus ein als aktuell zugelassene PrEP-Therapien.
Truvada & Co. greifen an der reversen Transkriptase des HI-Virus an. Als sogenannte Reverse-Transkriptase-Inhibitor greifen sie relativ schnell in die Virusvermehrung ein. Die Umschreibung der viralen RNA in DNA wird blockiert – die Virusreplikation wird in einem frühen Stadium geblockt. Um einen ausreichend hohen Wirkstoffspiegel zu erhalten, erfolgt die erste Einnahme von zwei Tabletten am besten bereits einen Tag vor dem Geschlechtsverkehr. Seit dem Patententablauf sind die Kosten für die PrEP von rund 900 Euro auf ungefähr 50 Euro pro Monat gesunken.
ViiV – neue Wirkstoffe und Zulassungsanträge
Anfang des Jahres reichte ViiV Healthcare einen Zulassungsantrag für Fostemsavir bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein. Der Wirkstoff soll zur Behandlung von HIV-Erkrankungen bei Erwachsenen zugelassen werden. Der zuständige Ausschuss hat eine beschleunigte Zulassung beantragt – die Zusage für eine beschleunigte Überprüfung wurde bereits erteilt. Fostemsavir soll in Kombination mit anderen antiretroviralen Mitteln zur Behandlung von Erwachsenen mit HIV-1-Infektion angewendet werden, bei denen es wegen vorliegender Resistenzen oder Unverträglichkeiten nicht möglich ist, ein alternatives antivirales Schema zu erstellen. Fostemsavir ist ein HIV-Eintrittsinhibitor und ein Prodrug von Temsavir. Der Wirkstoff blockiert einen bestimmten Rezeptor des Virus, so dass die anfängliche virale Bindung an die T-Wirtszelle (CD4+) verhindert wird. Dadurch wird der Eintritt in die Immunzelle des Wirts unterbunden. Das Medikament greift an einem anderen Lebenszyklus-Schritt des Virus an, so dass der Wirkstoff ein Potenzial in der Behandlung von resistenten HI-Viren bietet.
Ende 2019 hatte der Pharmahersteller bei der EMA einen Zulassungsantrag für die erste dispergierbare Formulierung von Dolutegravir (DGT) für Kinder mit HIV eingereicht. Wird dieser Antrag genehmigt, so kann ViiV damit eine Behandlungslücke schließen. Das neue Dolutegravir soll mit einer Stärke von 5 mg auf den Markt kommen und so bei pädiatrischen Patienten ein vereinfachtes Dosierungsschema im Vergleich zu bisherigen Tabletten in den Stärken 10 mg, 25 mg und 50 mg mit sich bringen. Sharon Nachman, Professorin für Pädiatrie am Stony Brook Children's Hospital, erklärt die Wichtigkeit einer dispergierbaren DGT-Formulierung: „Da relativ wenige Therapien für die Behandlung von HIV bei Kindern zugelassen sind, können wir dank der Verfügbarkeit von Dolutegravir in dieser neuen Formulierung unser Angebot an antiretroviralen Medikamenten erweitern und damit unserem endgültigen Ziel, eine Aids-freie Generation zu erreichen, einen weiteren Schritt näher kommen.“
HIV-Therapie in der Entwicklung
Immer mehr Präparate der älteren „Generationen“ werden von den Pharmaherstellern vom Markt genommen. So hatte beispielsweise MSD Sharp & Dohme das HIV-Medikament Crixivan in beiden Stärken Anfang des Jahres außer Vertrieb genommen. Grund hierfür ist laut Konzern die stetige Weiterentwicklung der Proteaseinhibitoren – mittlerweile stehen andere Arzneistoffe zu Verfügung. Bei den älteren Präparaten ist die Einnahme oft nicht Compliance-fördernd. So musste Crixivan dreimal täglich eingenommen werden. Die Standartdosierung betrug 800 mg Indinavir alle acht Stunden, dies entspricht je nach verordnetem Präparat zwei Kapseln dreimal täglich oder vier Kapseln dreimal täglich.