Ibuprofen-Engpässe

„Hier treibt niemand mehr irgendetwas auf“

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Berlin -

Aenova ist einer der führenden Lohnhersteller in Deutschland und hat auch bei Ibuprofen die Nase vorn. Nahezu 20 Firmen werden vom ehemaligen Temmler-Standort in Marburg und der Dragenopharm in Tittmoning aus mit dem Schmerzmittel beliefert – jedenfalls wenn Wirkstoff da ist, der verarbeitet werden kann. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt Bernd Ehlert, Senior Vice President Licensing & Retail, warum mit der Krise zu rechnen war und wie sein Unternehmen mit der Situation umgeht.

ADHOC: Bei Ibuprofen droht ein globaler Engpass. Überrascht?
EHLERT: Nein, die Verknappung auf dem Weltmarkt kam ja nicht über Nacht. Vor allem in den großen Märkten hat sich der Bedarf bei Schmerzmitteln verschoben, insbesondere seit Paracetamol so in die Schlagzeilen geraten ist. Mittlerweile wird Ibuprofen auch in den Kombinationspräparaten gegen Erkältung eingesetzt. Die stark steigende Nachfrage war für jeden zu erkennen.

ADHOC: Warum haben die Hersteller nicht reagiert?
EHLERT: Der Weltmarkt für Ibuprofen wird mittlerweile von einigen wenigen Firmen dominiert, die meisten Anbieter sitzen in Indien und China. Die Kapazitäten sind voll ausgelastet, so konnte zum Beispiel BASF schon vor der vorübergehenden Schließung des Werks in Bishop keinerlei Zusatzmengen mehr liefern. Dazu kommen gelegentliche Engpässe bei den Ausgangsstoffen, die die Situation weiter verschärfen. Marktwirtschaftlich betrachtet ist das Oligopol der Wirkstoffproduzenten in einer sehr komfortablen Situation: Ibuprofen ist eine knappe Ressource, was sich in entsprechenden Preiserhöhungen niederschlägt.

ADHOC: Wovon reden wir?
EHLERT: Vor sieben Jahren, als wir teilweise Überkapazitäten hatten, lag der Preis für ein Kilogramm bei 7 US-Dollar in den USA. Heute müssen Sie mehr als 20 Dollar zahlen, sofern Sie überhaupt etwas bekommen. Innerhalb weniger Jahre hat sich der Preis also fast verdreifacht. Die nächste Preisrunde kommt noch in diesem Jahr, 2019 wird es wohl weitere Steigerungen geben.

ADHOC: Wer zahlt am meisten?
EHLERT: Über alle Wirkstoffe hinweg, die wir als Aenova verarbeiten, kann man sicherlich sagen, dass in den USA das Preisniveau immer noch deutlich höher als in Europa ist, also im Vergleich hier der höhere Ertrag zu erzielen ist.

ADHOC: Rollen auch auf die Apotheken Preiserhöhungen zu?
EHLERT: Das ist für die Hersteller schwer durchzusetzen, weil Ibuprofen als Schnelldreher oft für Preisaktionen genutzt wird, beispielsweise im Versandhandel. Meine Erwartung ist: Für die ganz günstigen Schnäppchenangebote eignet sich der Wirkstoff in den kommenden Jahren wohl nicht mehr.

ADHOC: Wie gehen Sie als Lohnhersteller mit der Situation um?
EHLERT: Wir haben frühzeitig Bedarf angemeldet, aber wir bekommen auch nicht mehr genügend Ware. Das heißt, dass auch wir rationieren müssen und in diesem Jahr nicht mehr alle Bestellungen bedienen können.

ADHOC: Schlägt das auf die Geschäftszahlen?
EHLERT: Wir sind in der vergleichsweise komfortablen Situation, dass wir unsere Produktionskapazitäten anderweitig nutzen können, sodass wir die Ausfälle einigermaßen ausgleichen können. Die Aenova Group ist breit aufgestellt, hat ein sehr diversifiziertes Portfolio. Das ist in dieser Situation von großem Vorteil. Auch den Umsatzausfall können wir bei einer Gesamtsumme von 750 Millionen Euro sicherlich besser verschmerzen als kleinere Anbieter.

ADHOC: Haben Sie Ihre Einkäufer losgeschickt, um noch eine Tonne Wirkstoff aufzutreiben?
EHLERT: Hier treibt niemand mehr irgendetwas auf! Der Markt ist komplett leergefegt. Unsere Einkäufer und Disponenten stehen natürlich häufiger in Kontakt mit den Lieferanten, aber auch als größter Lohnhersteller in Europa ist unsere Situation nicht gerade sehr komfortabel. Bei kritischen Nachfragen bekommt man nur eine Antwort: „Wenn Sie etwas übrig haben, können Sie es gerne zurückschicken.“

ADHOC: Warum produziert kein anderer Lieferant Ibuprofen?
EHLERT: Bei einer Substanz wie Ibuprofen gilt: Hopp oder top. Man ist entweder drin oder draußen. Das ist kein Kuppelprodukt, das man mal eben dazwischenschiebt, wenn die Produktionsstrecke frei ist. Das Geschäft funktioniert ausschließlich über Masse, sie brauchen also eine ganze Fabrik, um kostendeckend zu produzieren. Zum Vergleich: Metformin ist zwar mit 5 Dollar pro Kilogramm deutlich günstiger, denn auch hier sind dezidierte Mono-Fabriken die Lieferanten, vornehmlich aus Indien und China.

ADHOC: Wann entspannt sich die Lage?
EHLERT: Ich gehe davon aus, dass es erst besser wird, wenn BASF die neue Produktion in Ludwigshafen fertiggestellt hat. Also frühestens in drei Jahren.

ADHOC: Was kann man aus dem Fall lernen?
EHLERT: Auch in der Pharmaindustrie herrschen die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Wenn der Preisdruck zu groß wird, sinkt die Anzahl der Marktteilnehmer und es bilden sich Oligopole. Im schlimmsten Fall drohen Zustände wie in Großbritannien: Dort steigen nach teilweise extremen Preisverfällen alle Anbieter aus, bis der Markt wieder attraktiver wird. Kein schönes Szenario für den Gesundheitsbereich.

ADHOC: Wie ist es um die Produktion in Europa bestellt?
EHLERT: Europäische Hersteller scheiden aus bestimmten Bereichen aus. Der Anteil der Produkte aus Deutschland sinkt seit Jahren – wir sehen auch nicht, dass er wieder steigen wird. Auch wir haben 2012 unsere Strategie angepasst und fokussieren uns zum Beispiel auf den OTC-Bereich und Nischen. Es gibt nur noch wenige Kunden aus dem Rx-Bereich, die ihr Geschäftsmodell auf die Ausschreibungen ausgerichtet haben und damit erfolgreich sind.

ADHOC: Wer liefert in Zukunft die Generika für deutsche Patienten?
EHLERT: Wenn es den Herstellern nicht gelingt, sich in den Bereichen Industrie 4.0 und Automatisierung neu aufzustellen, sehe ich die ganz konkrete Gefahr, dass sich generische Produkte bald gar nicht mehr kostendeckend in Deutschland produzieren lassen.

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