Hexal: Comeback für Perocur Patrick Hollstein, 17.02.2015 10:56 Uhr
„Raus aus dem Kühlschrank – Rein in die Sichtwahl!“ Mit diesem Motto kündigt Hexal die Einführung seines Antidiarrhoikums Perocur mit neuer Rezeptur an. Für den Generikakonzern ist es der Versuch eines Comebacks mit dem Hefepräparat. Beobachter sehen Parallelen zum Launch des Umckaloabo-Generikums Pelasya vor einem Jahr. Beim Originalhersteller Medice gibt man sich gelassen: Der günstigere Preis sei relativ, die Studienlage bei Perenterol einzigartig.
Perocur forte war 1995 eingeführt worden. Im Herbst 2011 brach das Geschäft über Nacht ein: Wie andere Hersteller von Hefepräparaten musste auch Hexal große Bestände aus den Apotheken zurückrufen. In den Kapseln konnten zu wenige lebensfähige Keime nachgewiesen werden. Grund war das Herstellungsverfahren: Bei der Wirbelschichttrockung waren die Kulturen offensichtlich allzu hohen Temperaturen ausgesetzt.
Mitte 2012 konnte Hexal zwar wieder liefern, allerdings musste das Präparat fortan im Kühlschrank aufbewahrt werden. Außerdem wurde die Haltbarkeit von 36 auf 24 Monate verkürzt. Andere Hersteller warfen gleich ganz das Handtuch: Die Schwesterfirma 1A gab zu dieser Zeit Peromyces auf, Ratiopharm seine Hefekapseln, Schwabe sein Hamadin und Sidroga seine Valverde-Durchfallkapseln.
Großer Gewinner dieser Marktbereinigung war Perenterol: Der französische Hersteller Biocodex hatte bereits 1947 ein Lyophilisierungsverfahren entwickelt und sich patentieren lassen, bei dem die Aktivität von Saccharomyces boulardii erhalten bleibt. Ende 2012 konnte sich Medice nach einem längeren Auswahlprozess die Vertriebsrechte für Deutschland sichern. Zuvor hatte 20 Jahre lang der im September 2006 von UCB übernommene Hersteller Schwarz Pharma die Lizenz gehalten.
2014 konnten die Abverkäufe um 6 Prozent auf knapp 31 Millionen Euro auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) gesteigert werden, das entspricht einem Marktanteil von 20,5 Prozent. Wie schon 2012 war das Hefepräparat damit vor Imodium das nach Umsatz am häufigsten verkaufte Antidiarrhoikum. Zum Vergleich: Hexal kam mit Perocur forte auf 2,7 Millionen Euro beziehungsweise 1,8 Prozent.
„Mit der Entwicklung von Perenterol sind wir sehr zufrieden. Wir tun aber auch sehr viel für die Marke“, sagt Dr. Jürgen Kreimeyer, der in der Geschäftsführung von Medice für Marketing, Vertrieb und Medizinische Wissenschaft im Bereich der OTC-Präparate zuständig ist.
Vor allem bei den Ärzten kann der Hersteller überzeugen: Die Zahl der Verordnungen auf grünem Rezept konnte zuletzt um 10 Prozent auf 523.000 gesteigert werden. Auch in den Apotheken gibt es zahlreiche Aktionen, dazu kommen Anzeigen in Publikumsmedien und im Internet. Nur auf TV-Werbung wird laut Kreimeyer wegen des hohen Erklärungsbedarfs bewusst verzichtet.
Mit Hexal bekommt Medice jetzt ernst zu nehmende Konkurrenz: Der Generikakonzern hat einen Vertrag mit dem Lohnhersteller Pharma-Zentrale geschlossen, der ein eigenes Lyophilisierungsverfahren entwickelt hat. Ursprünglich hatte sich Andreas Niehaus die Vertriebsrechte gesichert, doch angesichts der geballten Marktmacht hat sich der Hersteller von Lioran und Gasteo im vergangenen Jahr zurückgezogen und den Weg für Hexal freigemacht.
Perocur kommt in grün-gelben Kapseln mit 250 Milligramm Lyophilisat in Packungen mit 10, 20, 50 und 100 Kapseln auf den Markt. Im Rahmen des Relaunchs sind zahlreiche Maßnahmen für Apotheken und Endverbraucher geplant: So soll es beispielsweise einen Patientenflyer, eine Reise-Apotheke mit Gehwegreiter-Poster sowie eine Reise-Broschüre für Endverbraucher geben. Für Fachkreise wird einer Sprecherin zufolge demnächst ein Folder mit Produktinformationen und Schulungen angeboten.
Dank des neuen Herstellungsverfahrens muss Perocur jetzt nicht mehr im Kühlschrank gelagert werden. Allerdings hat sich die Zahl der lebensfähigen Zellen pro Kapsel auf 2,5 x 109 halbiert. Um auf eine vergleichbare Menge wie bei Perenterol zu kommen, müssten daher doppelt so viele Kapseln eingenommen werden. In der Fachinformation wird allerdings ebenfalls nur die Einnahme von ein bis zwei Kapseln empfohlen.
Bei Medice hält man Perocur daher für unterdosiert – genauso wie Yomogi, das von der zu Pharma-Zentrale gehörenden Firma Ardeypharm vertrieben wird. Vergleichbare Mengen wie Perenterol weisen nur die beiden anderen verbliebenen Präparate Eubiol von CNP und Omniflora akut von Novartis auf, die allerdings noch nach dem alten Verfahren hergestellt werden.
Den günstigeren Preis – der AVP von Perocur als 10er Packung liegt bei 5,65 Euro, Perenterol forte kostet 7,89 Euro – lässt man bei Medice aufgrund der niedrigeren Dosierung nicht gelten: „Bei genauerer Betrachtung gibt es gar keinen Preisvorteil, zumindest was die Tagestherapiekosten anbelangt“, so Kreimeyer.
Für die Behauptung, dass womöglich auch die niedrigere Keimzahl ausreiche, gibt es laut Kreimeyer keine Grundlage: Fast alle klinischen Wirksamkeitsnachweise zum Einsatz von Hefe bei akuter oder Antibiotika-assoziierter Diarrhö seien mit dem Präparat von Biocodex durchgeführt worden; spezifizierende Hinweise auf andere Präparate gebe es in der Literatur jedenfalls nicht.
Nur Biocodex habe in den vergangenen Jahrzehnten Unsummen in Forschung und Entwicklung investiert, um die pharmazeutische Qualität und damit die klinische Wirksamkeit systematisch weiter zu optimieren. Die aktuelle Perocur-Zulassung basiere dagegen ausschließlich auf einer Monographie aus den 1990er Jahren.
Laut Kreimeyer, der von Hause aus Apotheker ist, kann Perenterol grundsätzlich nicht ausgetauscht werden: „Bei Präparaten auf Basis von Arzneihefe handelt es sich um biologisch aktive Arzneimittel, deren Wirksamkeit – ähnlich wie bei den komplex herzustellenden standardisierten Pflanzenextrakten – unmittelbar vom Herstellungsprozess abhängt. Hier ohne Kenntnis des genauen Prozesses ein bioäquivalentes Generikum mit identischer pharmazeutischer Qualität herzustellen, ist aus meiner Sicht nicht möglich. Es handelt sich schlicht um unterschiedliche Arzneimittel. Von daher sehen wir dem Eintritt von Perocur gelassen entgegen.“Die Butter vom Brot nehmen lassen will man sich bei Medice von Hexal laut Kreimeyer nicht: „Wir sind ein sehr gut aufgestelltes mittelständisches Familienunternehmen und stolz darauf, mit Perenterol ein so marktdominierendes Präparat im Portfolio zu haben. Und das soll auch so bleiben.“
Auch andere Hersteller setzen erfolgreich auf ihren Wissensvorsprung, um ihre Produkte vor Konkurrenz zu schützen. Vor einem Jahr scheiterten etwa Hexal, Schaper & Brümmer und ihr Zulassungsdienstleister Grünwalder mit einem Generikum zu Sinupret forte vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Schwabe wiederum untersagte Hexal verschiedene Aussagen zur Wirksamkeit von Pelasya, die sich auf Studien zu Umckaloabo bezogen.