Gericht sieht keine Beweise für Impfschaden APOTHEKE ADHOC, 04.04.2017 18:10 Uhr
Impfungen sollen vor Krankheiten schützen. Umso größer ist der Schock, wenn kurz nach dem Pieks nicht nur Fieber, sondern ernsthafte Symptome auftreten. Die Liste der Krankheiten, die als Spätfolgen von Impfungen diskutiert werden, ist lang: Autismus, Epilepsie, Hirnhautentzündungen, Lähmungen, Multiple Sklerose und das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) gehören dazu. Einige davon sind als mögliche, wenn auch seltene Nebenwirkungen anerkannt. Nur selten gelingt es aber, den Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Impfung zu beweisen. Wie in einem aktuellen Fall in Sachsen.
Das Jahr 2009: Die Schweinegrippe grassiert in Deutschland. Aus Angst vor der medial gehypten Erkrankung lassen sich tausende Menschen impfen, darunter auch ein 55-Jähriger Mann aus Sachsen. Rund sechs Wochen nach der Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix von GlaxoSmithKline (GSK) bemerkt er zunehmendes Kribbeln in den Füßen, welches am Folgetag bis zu den Knien aufsteigt. Zwei Tage später kommt eine ungewohnte Schwäche in den Unterschenkeln hinzu. Daraufhin sucht der Mann seine Hausärztin auf, die ihn wiederum in ein Krankenhaus überweist.
Nach etlichen Untersuchungen wird ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS), bei dem es sich um eine akute Entzündung des peripheren Nervensystems und der Nervenwurzeln mit Folge einer aufsteigenden Lähmung handelt, diagnostiziert. Die behandelnden Ärzte im Klinikum vermuten einen möglichen Zusammenhang mit der Schweinegrippeimpfung und melden die Erkrankung dem Impfhersteller.
Zwei Jahre später beantragte der Mann Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz. Als dauerhafte Gesundheitsstörungen gibt er eine Schwäche in den Beinen an, Gleichgewichtsstörungen, Konditionsschwäche beim Laufen und Stehen, teilweise Bewegungsdrang beim Sitzen infolge des GBS mit inkompletter schlaffer Paraparese der Beine. Doch der Antrag wird von der zuständigen Behörde abgelehnt.
Die Begründung: Für den Ablauf einer Autoimmunreaktion wie das Guillain-Barré-Syndrom werde ein zeitlicher Mindestabstand von fünf Tagen und ein Maximalabstand von 42 Tagen als zeitlich plausibel angegeben. Der Mann habe jedoch angegeben, seine Symptome erst am 43. Tag bemerkt zu haben. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem mehr als sechs Wochen später aufgetretenen GBS sei daher nicht überwiegend wahrscheinlich und die Erkrankung des Mannes auf eine Infektion zurückzuführen.
In einem Widerspruch bestritt der Geimpfte, vor der Impfung oder danach an einer Virusinfektion erkrankt gewesen zu sein, so dass nur die Grippeschutzimpfung die Aktivierung der Lymphozyten bewirkt haben könne. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Schmerz- und Unwohlseinempfinden von Mensch zu Mensch verschieden seien. Zwar habe er erst am 43. Tag nach der Impfung bewusst Symptome wahrgenommen, was jedoch nicht bedeute, dass nicht bereits vor diesem Zeitpunkt Symptome vorhanden gewesen seien. Doch den Widerspruch wies die Behörde als unbegründet zurück.
Daraufhin klagte der Mann beim Sozialgericht Chemnitz, das ein Gutachten in Auftrag gegeben hat. Es bestehe heute kein Zweifel mehr, dass eine Influenza A-(H1N1)-Impfung mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung eines GBS einhergehe, heißt es darin. Üblicherweise werde davon ausgegangen, dass diese Nebenwirkung in fünf bis 42 Tagen nach der Impfung auftrete. Es handele sich hierbei aber nicht um einen wissenschaftlich begründeten Zeitraum.
Autoimmunprozesse, die im Gewebe des lebenden Körpers abliefen, seien nicht mit Beginn und Ende im Individuum messbar, so das Gutachten. In einzelnen Untersuchungen sei ein Zeitraum von acht oder zehn Wochen für ein impfbedingtes GBS anerkannt worden bzw. ein erhöhtes Risiko auch für die Zeit von fünf bis acht Wochen nach Impfung festgestellt worden, heißt es in dem Gutachten.
Außerdem sei der Kläger Maurer und Friedhofsarbeiter mit einer gewissen Robustheit, so dass durchaus möglich sei, dass er auf kleinere Krankheitssymptome nicht achte und erst bei stärkeren Beschwerden reagiere. Vor- oder Begleiterkrankungen, wie beispielsweise Atemwegs- oder Magen-Darm-Infekte, hätten nicht vorgelegen. Es gebe damit kein anderes Ereignis innerhalb von 43 Tagen nach der Influenza A/H1N1-Impfung, welches mit der Entstehung des GBS in Beziehung stehen könne.
Das Gericht folgte dem Urteil des Gutachters und erkannte das GBS als Folge der Pandemrix-Impfung. Ein Zusammenhang zwischen dem GBS und der Pandemrix-Impfung sei wahrscheinlich, heißt es in der Begründung.
Gegen das Urteil des Sozialgerichtes legte die Behörde Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) ein. Ein weiteres Gutachten wurde erstellt. Der Experte kommt allerdings zu einem gegenteiligen Ergebnis als sein Kollege: Im vorliegenden Fall ergebe sich ein doppeltes Argument gegen einen ausreichend wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang. Zum einen liege der in allen zur Verfügung stehenden Dokumenten genannte Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptomatik am 43. Tag außerhalb des Zeitfensters der aufgrund der Einschätzung des hier maßgeblichen Paul-Ehrlich-Instituts in Deutschland genannten Periode.
Zum anderen bestehe aufgrund der Datenlage internationaler Studien generell Unsicherheit bezüglich eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen einer Impfung gegen Influenza A/H1N1 mit den aktuellen Impfstoffen und dem Auftreten eines GB-Syndroms. Die ursprünglichen positiven Zusammenhänge aus den Vereinigten Staaten aus den Jahren 1976/1977 könnten auch auf eine möglichen spezielle Präparation des Impfstoffes sowie eine mögliche bakteriellen Verunreinigung zurückzuführen sein.
Ohnehin sei das GB-Syndrom keine seltene Ursache einer neuromuskulären Störung. Männer seien häufiger betroffen als Frauen, das Erkrankungsrisiko steige mit dem Alter. Diese epidemiologischen Daten passten gut zur Annahme eines sporadischen beziehungsweise idiopathischen GB-Syndroms im vorliegenden Fall.
In etwa einem Drittel der Fälle sei keine Infektionserkrankung in den vorausgehenden Wochen nachweisbar. Zwar sei ein kausaler Zusammenhang der Erkrankung mit der vorausgegangenen Impfung grundsätzlich möglich, aber nicht ausreichend wahrscheinlich. Auch hier stellte das Gutachten die Grundlage für die Entscheidung des Landessozialgerichts. Das Gericht hob das Urteil des Sozialgerichtes auf und wies die Klage des Mannes zurück. Revision zum Bundessozialgericht ließ das LSG nicht zu.