Grippewelle

Männergrippe ist kein Scherz Dr. Kerstin Neumann, 30.01.2016 09:43 Uhr

Berlin - 

Wenn Männer wegen einer Bagatellerkrankung leiden, löst das bei ihren Partnerinnen häufig nur ein mitleidiges Lächeln aus. Schon ein kleiner Schnupfen lässt das starke Geschlecht schwach aussehen. Zumindest bei der Virusgrippe ist offenbar Verständnis angebracht: Forscher haben herausgefunden, dass männliche Zellen offenbar schlechter mit Grippeviren umgehen können als die von Frauen. Schuld daran sind, wie so oft, die Hormone.

Schon lange ist bekannt, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Medikamente ansprechen. Für den Großteil dieser Effekte werden die geschlechtsspezifischen Hormone, Estrogen und Testosteron, verantwortlich gemacht. Forscher der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland) vermuteten auch für die Reaktion auf Grippeerreger ähnliche Effekte. Sie gingen der Frage nach, ob der niedrigere Estrogenspiegel von Männern eine Ursache für die „Männergrippe“ sein könnte.

Dazu untersuchten de Wissenschaftler im Labor Zellen der Nasenschleimhaut von gesunden Spendern. Der Zellkultur wurde zunächst Estrogen zugesetzt, nach 24 Stunden wurden die Zellen schließlich mit Influenza A in Kontakt gebracht und die Viruslast innerhalb der Zelle kontinuierlich über 48 Stunden gemessen.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Zugabe von Estrogen verringerte die Viruslast signifikant – aber nur in weiblichen Zellen. Bei männlichen Proben hingegen war durch Zugabe von Estrogen kein Effekt festzustellen. In den Zellen fanden sich deutlich mehr Viren als in denen der weiblichen Spender. Offenbar müssten Männer bei einer Infektion mit dem Grippevirus mit einer höheren Aktivität der Viren leben, schlussfolgerten die Forscher. Ein natürlicher Estrogen-Schutz funktioniert bei ihnen demnach nicht.

Die „spezifisch weibliche“ Wirkung konnten die Wissenschaftler genauer zeigen: Über eine Interaktion des Hormons mit dem Estrogenrezeptor beta scheint die Vermehrung des viralen Erbgutes in der weiblichen Zelle unterbunden zu werden. Wurde dieser Rezeptor nämlich mit einem selektiven Estrogen-Rezeptormodulator (SERM) außer Kraft gesetzt, schwanden auch die antiviralen Eigenschaften von Estrogen – die Replikation fand ungehindert statt.

Warum nur Frauen von der Wirkung profitieren, ist noch nicht geklärt; immerhin besitzen auch Männer den passenden Rezeptor, wenn auch in kleinerer Menge. Auch welcher Mechanismus genau hinter der virushemmenden Wirkung von Estrogen steckt, ist noch unklar. Möglicherweise ist der Effekt darauf zurückzuführen, dass Estrogen den Zellmetablismus insgesamt verlangsamt. Damit schwinden auch die Möglichkeiten für eine Replikation des viralen Erbgutes.

Dass man in einer großen Studie einen schützenden Effekt der körpereigenen Estrogene bei Frauen nachweisen kann, bezweifeln die Forscher allerdings. Dafür seien die zyklusbedingten Schwankungen wahrscheinlich zu hoch. Für oral eingenommene Estrogenpräparate, die derzeit zur Empfängnisverhütung oder in der Postmenopause zur Hormonersatztherapie eingesetzt werden, sehen die Wissenschaftler aber durchaus Potenzial: Die Pille könnte Frauen während der saisonalen Influenzaepidemien besser vor der Grippe schützen.