Glykopolymer: Aasfresser für Antikörper Nadine Tröbitscher, 21.04.2017 11:51 Uhr
Ein künstliches Molekül aus Zucker könnte künftig wie ein Schwamm gegen pathogene Antikörper wirken und zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden. Wissenschaftler von Universität und Universitätsspital Basel haben diesen neuen Therapieansatz entdeckt und in „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS) veröffentlicht.
Die Wissenschaftler haben einen Glykopolymer-Wirkstoff entwickelt, der zur Behandlung der Anti-Myelin-assoziierten-Glykoprotein-Neuropathie eingesetzt werden könnte. Die Vorbereitungen für klinische Studien laufen bereits. Derzeit befinden sich keine spezifischen Therapieoptionen für die seltene Erkrankung auf dem Markt. Die Patienten erhalten eine Immunsuppression, die wenig effizient und von vielen Nebenwirkungen gekennzeichnet ist.
Die Anti-MAG-Neuropathie ist eine seltene Autoimmunerkrankung des peripheren Nervensystems, die durch eine Demyelinisierung gekennzeichnet ist. Die Betroffenen leiden unter sensorischen und motorischen Störungen. Muskelschwäche, Gehbehinderungen oder Zittern können die Patienten in ihrem Alltag beeinträchtigen. Die Diagnose kann über den Nachweis von Autoantikörpern im Blutserum gestellt werden.
Der neue Behandlungsansatz liegt in einem auf die Antikörper maßgeschneiderten synthetischen Glykopolymer. Die Substanz imitiert dabei Humanes-natürliches-Killer-1-Glyco-Epitop, den Abschnitt auf dem MAG-Protein, an den die Antikörper binden. HNK-1 wird stark auf MAG exprimiert. „Wir haben daher vermutet, dass eine signifikante Verbesserung des Krankheitszustands durch selektives Neutralisieren der pathogenen Anti-MAG-Antikörper mit kohlenhydratbasierten Liganden, die das natürliche HNK-1-Glycoepitop nachahmen, erreicht werden kann“, so die Wissenschaftler in ihrer Publikation.
Die Wissenschaftler sprechen von einem Antikörper-Scavenger (Aasfresser) und konnten in-vitro zeigen, dass das Glykopolymer krankheitsverursachende Antikörper im Patientenserum neutralisiert.
Der neue Therapieansatz könnte auch für die Behandlung anderer durch Antikörper vermittelte Autoimmunerkrankungen vielversprechend sein, darunter multifokale motorische Neuropathie oder Guillain-Barré-Syndrom. „Mit der Verwendung von Glykopolymeren eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Behandlung von Erkrankungen, bei denen Anti-Glykan-Antikörper eine Rolle spielen“, sagt Studienleiter Professor Dr. Beat Ernst vom Departement für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel.
MAG-Antikörper sind die Hauptursache für die Anti-MAG-Neuropathie, sie werden vom Körper selbst gebildet und stören die Funktion der Myelin-assoziierten Glykoproteine. Die Myelinschicht schützt das Neuron und sorgt für eine Weiterleitung des Aktionspotentials am Axon. In den peripheren Nervenfasern sorgen sogenannte Schwann-Zellen für die Entstehung von Myelin. MAG ist spezifisch für diese Zellen. Die Antikörper stören ihren Aufbau und sorgen für Lücken in der Schutz- und Leitungsschicht. Die Folge sind Probleme in der Kommunikation und Reizweiterleitung der Nervenfasern – die normale Funktion ist gestört.