Drei Vorschläge für Temperaturkontrolle Katharina Lübke, 24.02.2015 12:54 Uhr
Die Umsetzung der GDP-Richtlinie ist für die Pharmagroßhändler derzeit ein bestimmendes Thema. Um auch während des Transports die vorgeschriebenen Lagerbedingungen einzuhalten, investieren sie viel Zeit und Geld. Laut Dr. Armin Welker ist der Aufwand unnötig: Die kurzzeitige Überschreitung der Obergrenze von 25 Grad Celsius sei völlig unbedeutend für die Stabilität und Qualität des Arzneimittels, so der Apotheker, der sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit mit dem Thema beschäftigt hat. In einem Schreiben an den Großhandelsverband Phagro beschreibt Welker „drei triviale Lösungsvorschläge zu einer preiswerten, GDP-konformen Umsetzung der Qualitätssicherung während des Transports“. Ein Problem seien allenfalls die Nachtschleusen in Apotheken.
Mit Spannung verfolgt die Branche derzeit, wie die vor Ort zuständigen Aufsichtsbehörden die Temperaturvorschriften auslegen. Dem Vernehmen nach gibt es bereits abweichende Vorgaben für verschiedene Niederlassungen, was die Mindesttemperatur angeht. Lediglich die Höchstgrenze von 25 Grad gilt als gesetzt – zu Unrecht, wie Welker findet. Denn die auf den Umverpackungen angegebene Vorschrift „Nicht über 25 Grad lagern“ sei eine bewusste Vereinfachung eines komplexeren Sachverhalts.
Grundsätzlich seien Medikamente, die weder kühlkettenpflichtig noch Kühlware seien, im Grundsatz als „temperaturunempfindlich“ zu betrachten. Anders als potenzielle Nährböden für Keime „verderben“ Arzneimittel laut Welker nämlich nicht, sondern zersetzten sich lediglich – durch Reaktion der Wirkstoffmoleküle etwa mit Sauerstoff und Wasser und durch physikalische Veränderungen, etwa der Partikelgröße oder Phasenumwandlungen.
Diese Prozesse fänden bei jeder Temperatur statt – je höher die Temperatur, desto schneller. Zwar könnten Schwankungen auch Einfluss auf Verpackungsmaterial haben, das beispielsweise aufgrund von Ausdehnung und Kontraktion Risse bekommen könne. Außerdem könne es bei Cremes zu Rekristallisationen kommen. Für die einmalige Erwärmung sei dies jedoch irrelevant, so Welker.
Um die „Temperaturbelastung“ berechnen zu können, greift die Fachwelt auf die „mittlere kinetische Temperatur“ (MKT) zurück: Dabei werden laut Welker höhere Temperaturen stärker berücksichtigt, weil der Zusammenhang nichtlinear ist. Werde eine Tablette beispielsweise einen Tag lang bei 40 Grad transportiert und anschließend 365 Tage bei 22 Grad gelagert, betrage der mittlere Temperaturanstieg 0,14 Grad, die MKT also 22,14 Grad. Die Lagerungsbedingung von „weniger als 25 Grad“ sei damit erfüllt, so Welker.
Laut Welker wird das Verfalldatum grundsätzlich für die Lagerung bei 25 Grad bestimmt. Bei erhöhter Temperatur läuft die „Zeit“ für Medikamente damit schneller ab, bei niedriger entsprechend langsamer: Eine Tablette, die nach 60 Monaten bei 25 Grad chemisch zu 10 Prozent zersetzt und damit abgelaufen sei, sei bei 15 Grad Lagerung erst nach 120 Monaten zu 10 Prozent zersetzt. „Eine Einlagerung zwischen 15 und 20 Grad verlängert damit den tatsächlichen Verfall lange über das aufgedruckte Verfalldatum hinaus“, so Welker.
In seiner Stellungnahme weist der Apotheker darauf hin, dass Deutschland zur kältesten und unkritischsten Klimazone gehöre, für die seinerzeit eine MKT von 21 Grad ermittelt wurde. Darin seien bereits die Temperaturschwankungen im Sommer ohne Klimatisierung der Lager berücksichtigt. Selbst für die Klimazone 2, zu der beispielsweise Südeuropa gehöre, gelte eine MKT von 22 Grad. Da die Hersteller ihre Langzeit-Stabilitätsuntersuchungen bei 25 Grad und 60 Prozent relativer Luftfeuchte durchführten, sei ein großzügiger Sicherheitspuffer einkalkuliert – sogar für besonders warme Städte in den USA.
So gelte das aufgedruckte Haltbarkeitsdatum für alle denkbaren Temperaturschwankungen in den Klimazonen 1 und 2 – bis nach Florida und Puerto Rico. Selbst in Südeuropa und Miami Beach gebe es keine Qualitätsminderung von Arzneimitteln – auch ohne Temperaturführung, so Welker.
In der derzeitigen Diskussion um die Lager- und Transporttemperatur würden diese 25 Grad als Versuchs-MKT aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und als nicht zu überschreitende Maximaltemperatur missverstanden. Dabei interpretierten die Arzneimittelbehörden den Sachverhalt seit Jahren richtig: „Die mittlere kinetische Temperatur umfasst die jährlichen Schwankungen, das heißt niedrigere und höhere Temperaturen während der Winter- und Sommersaison“, zitiert Welker aus dem Leitfaden für die Erklärung der Lagerbedingungen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) aus dem Jahr 2007.
Das amerikanische Arzneibuch (USP) empfiehlt laut Welker eine Lagerung bei 20 bis 25 Grad, Abweichungen zwischen zwischen 15 und 30 Grad seien aber genauso zulässig wie eine kurzzeitige Exposition – bis zu 24 Stunden – gegenüber Temperaturen von bis zu 40 Grad, sofern die mittlere kinetische Temperatur von 25 Grad nicht überschritten werde. „Ich würde empfehlen, sich dieser Auslegung vernünftigerweise anzuschließen“, sagt Welker.
In der GDP-Richtlinie werde ohnehin nirgends eine Grenztemperatur von 25 Grad explizit erwähnt. Vorgeschrieben sei lediglich, dass die Temperaturen „innerhalb akzeptabler Grenzen“ liegen müssten. Maßgeblich, so die Richtlinie, seien die vom Hersteller definierten oder auf der äußeren Packung angegebenen Werte.
Solange die Hersteller dem Großhandel keine erweiterten Stabilitätsdaten zur Verfügung stellten, sei es also einfacher, sich auf die Packungsangaben zu beziehen. Diese sollten laut Welker aber in ihrer tatsächlichen Bedeutung und nicht in der „Laieninterpretation“ ausgelegt werden.
Welker schlägt drei GDP-konforme Lösungen vor: Der Großhandel könnte die MKT von der Einlagerung bis zur Auslieferung an die Apotheke berechnen. Dazu müssten die Unternehmen die Durchschnittstemperatur im Lager, die Einlagerungsdauer und die Durchschnittstemperatur auf dem Transportweg mit Transportzeit erfassen. Dazu müssten die Lieferfahrzeuge mit Temperaturschreibern ausgestattet und nicht komplett umgebaut werden.
Welker rechnet vor: Bei einer Einlagerungsdauer von zehn Tagen bei 22 Grad, einem Transport von der Niederlassung zum Auftragslogistiker von einer Stunde bei 26 Grad und einem Transport zur Apotheke von zwei Stunden bei 31 Grad liege die MKT bei 22,14 Grad.
Für die zweite Lösung müsse „umgekehrt“ gerechnet werden: Da jedes Arzneimittel mindestens ein Tag beim Großhandel gelagert sei – zum Beispiel bei 22 Grad –, dürfe es während einer dreistündigen Auslieferung maximal 36,03 Grad ausgesetzt sein. Damit werde eine MKT von 24,998 Grad sichergestellt. Einfache Min/Max-Thermometer könnten in den Lieferfahrzeugen gewährleisten, dass 36 Grad nicht überschritten würden.
Die dritte Möglichkeit: Europa sei von den 25 Grad MKT weit entfernt. Zur Qualitätssicherung beim Transport genüge daher der Nachweis, dass beispielsweise die in den USA anerkannte Maximaltemperatur von 40 Grad nicht überschritten werde. Da die Lieferzeiten im Großhandel unter 24 Stunden lägen, müssten diese gar nicht berücksichtigt werden.
Schon mit diesem einfachsten Vorschlag wäre aus Sicht von Welker der Qualitätssicherung laut GDP-Richtlinie ausreichend Rechnung getragen. „Eine Verkomplizierung der seitens der Hersteller längst gelösten Temperaturfragen ist grundsätzlich nicht im Sinne europäischer Richtlinien“, so Welker.
Viel interessanter ist aus seiner Sicht übrigens die Frage, ob nicht Apotheken Vorbeugemaßnahmen gegen mögliches Einfrieren der Nachtlieferung treffen müssten. Da Einfrieren aber auch nicht immer kritisch sei und Kühlware nochmal in einer „Isolierbox“ komme, müsse man erst einmal messen, ob die nächtliche Kälte in der Außenschleuse überhaupt Auswirkungen auf die Ware in der Kühlbox habe.
Eine mögliche Vorbeugemaßnahme wäre, bei tiefen Temperaturen nachts keine flüssigen Arzneimittel vom Großhandel zu bestellen. „Dazu bräuchte es am besten einen 'Frost-Knopf' in der Apothekensoftware, sodass beim abendlichen Bestellvorgang automatisch die Ware in die Mittagstour gebucht wird.“