Dass flüssig gleich fest ist, entschied der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Falle Alendronsäure. Die Experten legten Brausetabletten und Tabletten als austauschbare Darreichungsformen fest. Es gebe keine Anhaltspunkte für einen therapeutischen Vorteil von Binosto (Recordati) gegenüber Tabletten oder Filmtabletten. Von der Pufferung einer Lösung sei per se noch kein therapeutischer Vorteil abzuleiten, urteilt der G-BA. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat den Entschluss nicht beantstandet. In Kraft tritt die Entscheidung jedoch erst mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Die Publikation wird in etwa zwei Wochen erwartet. Bis dahin darf Binosto nicht ausgetauscht werden.
Arzneimittel sind nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) austauschbar, wenn sie unter anderem in Wirkstoff, Wirkstärke, Packungsgröße und in mindestens einem Anwendungsgebiet übereinstimmen. Außerdem legt der G-BA fest, welche Darreichungsformen als austauschbar gelten. So wurden in der Vergangenheit Schmelztabletten oder verschiedene Retardformulierungen als austauschbar eingestuft. Unterschiedliche Freisetzungen scheinen irrelevant.
Recordati ist aktuell von zwei Entscheidungen des G-BA betroffen. Im Fall Alendronsäure haben die Einwände des Ulmer Arzneimittelherstellers beim G-BA nicht zu einem Umdenken geführt. Recordati sprach sich bei Alendronsäure gegen eine Gleichstellung fester und flüssiger Darreichungsformen aus. Das Unternehmen verwies im schriftlichen Stellungnahmeverfahren zum einen auf die unterschiedlichen Einnahmevorschriften und zum anderen auf die Vorteile von Binosto in Bezug auf säurebedingte Nebenwirkungen.
Alendronat-Tabletten sollen – um einen Reflux verursacht durch den sauren Wirkstoff zu vermeiden – am Morgen direkt nach dem Aufstehen und 30 Minuten vor dem Essen mit mindestens 200 ml Wasser geschluckt werden. Die Tabletten dürfen weder zerkaut, noch geteilt zerdrückt oder gelutscht werden. Patienten sollen sich nach der Einnahme nicht mehr hinlegen. So soll das Risiko für Reflux und oropharyngeale Ulzera vermindert werden. Wird den Einnahmehinweisen nicht entsprochen, können Sodbrennen, Übelkeit und Durchfall oder gar Therapieabbrüche die Folgen sein. Gastro-ösophageale Unverträglichkeiten sind die Hauptursache für Therapieabbrüche unter Biphosphonaten. Im ersten Behandlungsjahr beenden etwa 40 Prozent der Patienten die Behandlung vorzeitig. Kontraindiziert sind Alendronat-haltige Tabletten bei Erkrankungen des Ösophagus und der Unfähigkeit, 30 Minuten in aufrechter Position zu verbringen.
Binosto hingegen soll in mindestens 120 ml Wasser aufgelöst und morgens auf nüchternen Magen getrunken werden. Einer Studie zu Folge reizt die enthaltene Alendronsäure die Magenschleimhaut nicht. Der Grund sei die hohe Pufferkapazität im pH-Bereich 4,8 bis 5,4 der stillen Trinklösung: Laut Untersuchung wird der pH-Wert des Magens nach Einnahme der Brausetablette vorübergehend auf einen Wert > 3,5 gepuffert. In diesem Bereich liegt Alendronat zum Großteil als verträgliches Salz vor. Im physiologischen pH-Bereich des Magens bei Werten < 2 hingegen liegt der Arzneistoff in der Säureform vor und kann Reizungen verursachen.
Der G-BA zeigt sich in seiner Entscheidung von der Pufferkapazität unbeeindruckt: „Dass es durch die Einnahme von Binosto tatsächlich zu weniger säurebedingten Nebenwirkungen kommt, spiegelt sich weder in der Anzahl beziehungsweise der Häufigkeit der Nebenwirkungen in der Fachinformation wider, noch wurde dies durch klinische Studien belegt. Durch die Pufferung der Lösung ist per se noch kein therapeutischer Vorteil abzuleiten.“
Auch die vorgelegte Studie wird kritisiert: Es handele sich um eine Untersuchung mit nur wenigen Patienten. Insgesamt zwölf gesunde Probanden wurden eingeschlossen, jedoch keine patientenrelevante Endpunkte untersucht, somit lasse sich nicht auf eine Verringerung der säurebedingten Nebenwirkungen schließen.
Eine neue Studie, die der G-BA nicht berücksichtigt hat, zeigt, dass die Therapie-Adhärenz, insbesondere die sogenannte „Persistenz“, unter Binosto signifikant besser ist als unter konventionellen Alendronat-Tabletten. Signifikant weniger Binosto-Patientinnen brechen die Therapie wegen gastrointestinalen Nebenwirkungen ab. Zusammenfassend stellt der G-BA fest, es gebe „keinen Anhaltspunkt für einen therapeutischen Vorteil von Binosto, der einer therapeutischen Vergleichbarkeit mit Blick auf die Austauschbarkeit von Darreichungsformen entgegensteht“.
Im Einzelfall – beispielsweise bei Patienten mit Dyspahgie – seien Ärzte in der Verantwortung, aus medizinischen Gründen eine Substitution auszuschließen. „Im Regelfall sind die wirkstoffgleichen Arzneimittel jedoch unabhängig von ihrer Anwendungsform (fest oder flüssig) austauschbar.“ Auch die vorliegende Hybridzulassung stehe einer Austauschbarkeit nicht im Wege, so der G-BA.
Der G-BA hat außerdem für den Wirkstoff Methocarbamol 750 mg eine Austauschbarkeit von Tabletten (DoloVisano, Dr. Kade) und Filmtabletten (Ortoton, Recordati) festgelegt.
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