Ende der 1990er Jahre tauchten in den Apotheken nicht nur Biotin-Generika auf, sondern auch wirkstoffhaltige Mittel gegen Haarausfall, etwa die Alfatradiol-Präparate Ell Cranell (Galderma) und Pantostin (Merz). Dann ebbte der Hype so schnell ab, wie er gekommen war – bis Johnson & Johnson (J&J) einen neuen Anlauf mit Regaine (Minoxidil) nahm. Jetzt bringt der Hersteller von Bio-H-Tin, Dr. Pfleger, ein preisgünstiges Generikum auf den Markt.
Unter den Namen Rogaine kam 1988 in den USA die erste Minoxidil-haltige Lösung zum Auftragen auf die Kopfhaut auf den Markt. 1996 wurde der Wirkstoff aus der Rezeptpflicht entlassen, ein Jahr später wurde die Wirkstoffkonzentration von 2 auf 5 Prozent erhöht. Im September 2000 wurde Regaine als OTC-Produkt in Deutschland eingeführt, vier Jahre später folgte die Variante für Frauen in der ursprünglichen Dosierung.
Zu dieser Zeit wechselte das Produkt allerdings gleich zweimal kurz nacheinander den Besitzer: 2002 ging der Hersteller Pharmacia für 60 Milliarden US-Dollar an Pfizer; vier Jahre später verkaufte der Konzern sein OTC-Geschäft mit Marken wie Listerine, Nicorette und Zyrtec für knapp 17 Milliarden Dollar an J&J. Weil unter diesen Umständen kaum investiert wurde, verlor Regaine in den Apotheken zunehmend an Bedeutung. Erst J&J kümmerte sich wieder um die Marke.
2012 wurde das Produkt wach geküsst: In den USA hatte der Konzern ein Jahr zuvor einen Schaum eingeführt, der nun auch deutsche Männer überzeugen sollte. Mit der neuen Formulierung wollte man sich in Neuss außerdem von der Konkurrenz absetzen: Pierre Fabre hatte mit Alopexy gerade ein Regaine-Generikum auf den Markt gebracht, Vichy seine Dercos-Serie um Ampullen mit Aminexil beziehungsweise Stemoxydine erweitert.
J&J investierte massiv in Werbung – alleine im vergangenen Jahr knapp 9 Millionen Euro zu Bruttopreisen nach Nielsen. Nicht nur im Fernsehen ist Regaine seitdem dauerpräsent, sondern entsprechend der Zielgruppe auch im Internet und sogar in Sportstudios. Die Investitionen zahlten sich aus: 2012 legten die Umsätze um ein Viertel von 19 auf 24 Millionen Euro auf Basis der Apothekenverkaufspreise zu, im vergangenen Jahr kletterten die Erlöse sogar um ein Drittel auf 32 Millionen Euro.
Mit knapp 17 Millionen Euro ist Regaine auf Basis der Herstellerabgabepreise nach wie vor Marktführer im Bereich der Haarpflegemittel – vor Priorin (Bayer) mit 13 Millionen Euro sowie Pantovigar (Merz), Ell Cranell (Galderma) und dem gerade gerelaunchten Inneov Haarfülle (Inneov) mit jeweils rund 5 Millionen Euro. Dercos hat in den zwölf Monaten bis Ende September rund ein Viertel auf 2,6 Millionen Euro verloren, Phyto um rund ein Drittel zugelegt auf knapp eine Million Euro.
Besonders stark gewachsen ist Alopexy – wenn auch auf niedrigem Niveau: Um 150 Prozent auf rund 420.000 Euro legte der Regaine-Konkurrent zu, wohl auch wegen des Preisunterschieds: Anders als das Original kostet die 3er-Packung der 5-prozentigen Lösung nicht 86,41 Euro, sondern nur 55,69 Euro.
Von der guten Nachfrage will auch Pfleger profitieren: Der Hersteller aus Bamberg bringt unter der Dachmarke Bio-H-Tin einen Minoxidil-haltigen Spray auf den Markt. Der ist mit 49,90 Euro in der Großpackung deutlich preiswerter als der Regaine-Schaum, der 71,90 Euro kostet.
OTC-Chef Robert Fischer hofft, einen Teil des Marktes dadurch in die Apotheken zurückzuholen. Denn bislang findet das Geschäft mit den oft hochpreisigen Haarpflegemitteln zum großen Teil im Versandhandel statt. Jede dritte Großpackung von Priorin etwa wird im Internet verkauft, bei Regaine dürfte es sogar jede zweite sein. Außerdem tauchen immer wieder apothekenexklusive Marken in Drogeriemärkten auf.
Mit dem Vorverkauf hatte Pfleger bereits vor Monaten begonnen; wegen Verzögerungen beim Lieferanten – dem französischen Lohnhersteller Chemineau – hat sich die ursprünglich für Sommer geplante Auslieferung aber um einige Monate verzögert. Ab heute sollen alle Großhändler bevorratet sein, in der kommenden Woche startet das Unternehmen mit Fernsehwerbung.
Seine traditionsreiche Marke Bio-H-Tin kann Pfleger für das neue Produkt nutzen, weil die entsprechende Tochterfirma diesen Namen trägt. Das ursprüngliche Produkt steht mit einem Umsatz von knapp 4 Millionen Euro nach wie vor an der Spitze des Biotin-Marktes in der Apotheke, vor Ratiopharm (1,8 Millionen Euro), Hermes (1,2 Millionen Euro), Betapharm (830.000 Euro) und Quiris (750.000 Euro).
Insgesamt werden in der Apotheke Haarpflegemittel im Wert von 72 Millionen Euro auf Basis der Herstellerabgabepreise umgesetzt: 54 Millionen Euro entfallen auf Präparate gegen Haarausfall, 18 Millionen Euro auf Biotin-Produkte und ähnliche Aufbaumittel. Laut Fischer ist dieser Markt in der Apotheke aber seit Jahren rückläufig – weil kein Hersteller investiert: Vitaminpräparate gibt es längst im Drogeriemarkt und die Generika haben auch in den Apotheken zu einem Preisverfall geführt. Pfleger hält dagegen: Seit Jahren schickt das Unternehmen Beraterinnen in die Offizin, die nicht nur das Personal, sondern auch die Kunden schulen.
Dieses Konzept soll jetzt auf das Minoxidil-Produkt übertragen werden. Laut Fischer reagieren nämlich viele Anwender verunsichert, wenn nach einem Monat der Haarausfall zunächst schlimmer wird: „Gerade in diesem Segment kommt es auf die Beratung an. Das ist eine echte Chance für die Apotheken.“
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