Die Blut-Hirn-Schranke fungiert als wichtige Barriere, wenn es um die Wirkung von Arzneistoffen, aber auch Schadstoffen geht. Bislang konnte sie nicht realitätsgetreu nachgebildet werden – einem Team der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) ist es nun jedoch gelungen, ein 3D-Modell zu entwickeln, welches die komplexen Zusammenhänge gut darstellen kann.
Vereinfacht gesagt schützt die Blut-Hirn-Schranke unser zentrales Nervensystem vor schädlichen Substanzen im Blutkreislauf. Sie funktioniert wie eine Art Mauer, die das Gehirn abschirmt. Das Team erklärt, warum das Verständnis der Blut-Hirn-Schranke so wichtig ist: Bei einer Verletzung oder Erkrankung des Gehirns kann die Mauer löchrig werden. Manchmal sind solche Löcher sogar vorteilhaft, weil man zum Beispiel Medizin ins Gehirn bringen muss. „Wir wollen also verstehen, wie man diese Mauer instand hält, sie durchbrechen kann und wieder repariert“, so Mario Modena vom Bioengineering-Labor der ETH Zürich.
Tierversuche würden nur bedingt Aufschluss über den menschlichen Körper liefern, außerdem seien sie verhältnismäßig teuer. Daher wird unter anderem auch an menschlichen Zellen im Labor geforscht. Doch bekanntermaßen sind auch in-vitro-Untersuchungen nicht 1:1 auf den menschlichen Organismus übertragbar. „Das Problem dieser in-vitro-Modelle: Meist wird die Blut-Hirn-Schranke auf relativ einfache Weise mit Blutgefäßwandzellen (Endothelzellen) nachgebaut, was nicht dem komplexen Aufbau im menschlichen Körper entspricht und etwa die Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen außer Acht lässt“, erklären die Wissenschaftler:innen. Zudem seien viele Modelle statisch: „Zellen schwimmen in einer Lösung, die sich nicht bewegt, womit weder der Faktor Scherspannung, unter der die Zellen im Körper stehen, noch der Faktor Flüssigkeitsfluss in die Beobachtungen einbezogen werden.“
Versucht man die dynamische Bewegung in die Modelle einzubringen, führe dies oft zu einer Verkomplizierung. Hinzu kämen Probleme bei der Messung. „Es ist kaum möglich, in Echtzeit hochauflösende Bilder von der Strukturveränderung der Barriere und gleichzeitig Zahlen zum elektrischen Widerstand und der damit verbundenen Kompaktheit und Dichtigkeit der Blut-Hirn-Schranke zu liefern.“
Dem Team der ETH ist daher nun ein neuer Meilenstein in der Darstellung der Blut-Hirn-Schranke gelungen: Mehr als drei Jahre wurde an einem geeigneten Modell geforscht – nun konnte unter Leitung von ETH-Professor Andreas Hierlemann ein offen-mikrofluidisches 3D-Blut-Hirn-Schranken-Modell entwickelt werden.
Basis des Modells stellen verschiedene Zelltypen dar, die natürlicherweise in der Blut-Hirn-Schranke vorkommen – sogenannte mikrovaskuläre Endothelzellen, humane Astrozyten und humane Perizyten. „Damit replizieren wir fast die 3D-Zell-Struktur im menschlichen Körper“, erklärt Modena. „Aber das wirklich Einzigartige ist, dass wir die Durchlässigkeit der Schranke messen und zugleich mit hochauflösender Zeitraffermikroskopie morphologische Veränderungen der Barriere abbilden können.“
Das Modell wurde bereits getestet: Dazu wurde die Barriere einem Sauerstoff-Zucker-Mangel ausgesetzt – ähnlich wie bei einem Schlaganfall. Die Veränderungen an der Blut-Hirn-Schranke konnten anschaulich dargestellt und erklärt werden. Das Modell könnte künftig interessant für die weitere Forschung sein. Es könne beispielsweise dabei helfen, Moleküle zu entdecken, die die Schranke stabilisieren oder aber Präparate und Methoden, die sie durchbrechen können, so das Team.
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