Ein relativ neues Genwerkzeug lässt die Forschergemeinde jubeln. Erbgut, auch das vom Menschen, kann damit besonders einfach verändert werden. Das weckt Hoffnungen – und schürt Ängste vor Missbrauch.
Jede Gemeinschaft kennt ihre Idole. Auch die Forschergemeinde. Und Dr. Emmanuelle Charpentier ist einer ihrer neuen Superstars. Die Französin, die auch am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig forscht, wird mit Auszeichnungen geradezu überschüttet. Zuletzt erhielt sie den renommierten spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis. Selbst die höchste Ehre, den Nobelpreis, trauen Kenner der 46-Jährigen zu.
Warum? Sie gilt als einer der Köpfe hinter einer Technik, mit der sich das Erbgut praktisch aller Organismen – Bakterien, Tiere, Pflanzen und Menschen – so effektiv manipulieren lässt wie nie zuvor. Das System hört auf den etwas sperrigen Namen Crispr-Cas9 und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Hunderte Wissenschaftler rund um den Globus arbeiten damit – so günstig, einfach und präzise ist die Methode. Dabei gibt es die Technik erst seit drei Jahren.
Crispr-Cas9 erlaubt im Prinzip auch genetische Veränderungen in menschlichen Spermien, Eizellen oder Embryonen. Man spricht von Keimbahn-Manipulationen. Das ist praktisch die Königsklasse der Gentechnik – und hoch umstritten. Die Folge ist ein manipulierter Mensch, der seine veränderte DNA an seine Nachfahren weitergibt. Sie wäre dauerhaft in der Welt. Das weckt zwar Hoffnung, bestimmte Erbkrankheiten zu heilen. Allerdings ist unklar, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Ethiker und Teile der Forschergemeinde haben deshalb große Bedenken und sagen: Stop.
Im Grunde ist Crispr-Cas9 eine Art Werkzeug, mit dem Forscher den genetische Bauplan von Organismen bearbeiten. Sie können Gene ausschalten, defekte DNA durch korrekte ersetzen oder neue Abschnitte ins Erbgut einfügen. Das so manipulierte Lebewesen bekommt dadurch neue oder andere Eigenschaften. Diese Möglichkeiten sind zwar nicht neu. Aber Crispr-Cas9 macht es bedeutend leichter.
Im März sorgten US-Forscher mit der Ankündigung für Aufsehen, mit Crispr-Cas9 bestimmte Insekten so zu verändern, dass sie keine Krankheiten mehr auf den Menschen übertragen können – beispielsweise Malaria-Mücken. Die Tiere würden ihre neue Eigenschaft an ihren Nachwuchs vererben. Ganze Populationen wären in relativ kurzer Zeit modifiziert. Kritiker fürchten die Konsequenzen. Was passiert, wenn solche Test-Insekten aus dem Labor entkommen? Sollte in das Erbgut freilebender Tiere so stark eingegriffen werden?
Professor Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, wertet Crispr-Cas9 als großen Schritt. „Das ist eine Methode, die sehr präzise arbeiten kann, die hohes Potenzial hat, als Werkzeug in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt zu werden.“
Um DNA gezielt zu manipulieren, schneidet man sie in der Regel. Bislang mussten sich Forscher, um das Erbgut an einer bestimmten Stelle zu verändern, eine spezifische DNA-Schere kreieren. Das ist aufwendig. Crispr-Cas9 ist anders. Das System funktioniert mit der immergleichen Schere, die zusammen mit zwei einfachen Molekülen sehr präzise eine bestimmte DNA-Stelle findet. „Das ist sehr billig und einfach“, erklärt Charpentier den Erfolg der Methode.
Crispr-Cas9 könnte der sogenannten Gentherapie zu großen Erfolgen verhelfen. Dabei werden in der Regel einem kranken Menschen bestimmte Zellen entnommen, im Labor gentechnisch verändert und anschließend wieder eingesetzt. Das könnte bei Krankheiten des Blutsystems oder gar bei AIDS helfen. Crispr-Cas9 macht diese Technik viel einfacher.
Allerdings rückt auch das gentechnisch veränderte Baby näher. Vor einigen Wochen präsentierten chinesische Forscher im Fachblatt „Protein & Cell“ eine viel kritisierte Studie, der zufolge sie mit Crispr-Cas9 einen Embryo genetisch manipuliert haben. Könnte daraus ein Mensch werden, würden die Veränderungen an seine Kinder weitergegeben, die Manipulationen wären erblich.
Bei den chinesischen Experimenten tauchten viele Probleme auf. Dennoch gelten sie als erster Vorstoß in diese Richtung, mit vielen Unwägbarkeiten und Problemen. Der Widerstand ist schon in diesem Frühstadium enorm. „Die Konsequenzen sind im Grunde nicht absehbar. Wir wollen doch nicht mit Embryonen experimentieren. Das wäre furchtbar“, sagt Leopoldina-Chef Hacker. Zu viele wissenschaftliche Fragen seien noch offen.
Hacker spricht sich, wie viele seiner deutschen Kollegen, für ein weltweites Moratorium aus, bis die Folgen solcher Eingriffe besser erforscht sind. Auch viele US-amerikanische Experten - wenn auch nicht alle – sind dafür. In den beiden Fachblättern „Science“ und „Nature“ erschienen kritische Kommentare zu Experimenten an der menschlichen Keimbahn. An die Forscherwelt wurde appelliert, freiwillig auf solche Experimente zu verzichten.
In Deutschland sind sie ohnehin bereits untersagt. Allerdings ist das Verbot nicht mit der Menschenwürde begründet, wie der Jurist und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Jochen Taupitz erklärt. „Der Gesetzgeber bezieht sich ausschließlich auf das Misserfolgsrisiko. Also darauf, dass man nicht weiß, was man anrichtet bei den zukünftigen Kindern.“ Sollte mit Crispr-Cas9 irgendwann eine sehr genaue Manipulation möglich sein, müssten neue Argumente gefunden oder das Verbot aufgehoben werden.
Auch der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Professor Dr. Dieter Birnbacher, sieht die Probleme bei der sogenannten Keimbahnintervention in den Risiken, die sich für die späteren Menschen ergeben. Er hält hingegen wenig davon, Manipulationen an Embryonen, Spermien oder Eizellen als unnatürlich zu verteufeln. „Das halte ich für völlig absurd.“
Die Crispr-Cas9-Erfinderin selbst fordert ein Verbot von solchen Keimbahn-Experimenten. „Ich finde das nicht gut. Für mich ist die Frage: Warum? Welchen Zweck hat es, menschliche Keimbahnzellen zu manipulieren?“, sagt Charpentier. Es sei besser, Keimbahn-Experimente komplett zu untersagen, als umständlich einzuschränken.
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