Dass der Wirkstoff Finasterid unter anderem die Psyche beeinträchtigen kann, ist seit einigen Jahren bekannt. Eine aktuelle Untersuchung versucht das Risiko erneut einzuschätzen: Die hohe Suizidrate unter dem 5-Alpha-Reduktase-Hemmer bei jungen Männern könnte allerdings nicht nur am Wirkstoff liegen, sondern auch an der psychischen Belastung durch den androgenetischen Haarausfall.
Der Arzneistoff Finasterid wird in der Dosierung zu 1 mg zur Behandlung der androgenetischen Alopezie bei Männern im Frühstadium eingesetzt. Der Wirkstoff hemmt die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) – einige Haarfollikel reagieren auf DHT mit einer Verkürzung der Wachstumsphase. Wird Testosteron nicht mehr umgewandelt, verlängert sich die anagene Phase, die Haare fallen folglich nicht mehr aus. Erste Erfolge sind nach etwa drei bis sechs Monaten der Einnahme zu verzeichnen. Das Medikament wird so lange eingenommen, wie das Haar erhalten bleiben soll. Nach dem Absetzen können die Beschwerden wiederkehren.
Vor etwa drei Jahren rückten die psychischen Nebenwirkungen von Finasterid in den Vordergrund. Das vom Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) auf europäischer Ebene durchgeführte Risikobewertungsverfahren brachte eine Änderung der Produktinformation mit sich: Während Beipackzettel Finasterid-haltiger Arzneimittel zu 5 mg – zur Behandlung und Kontrolle der benignen Prostata-Hyperplasie (BPH) – bereits Depression als Nebenwirkungen aufführten, sollte auch die geringere Dosierung künftig einen Hinweis auf die unerwünschte Arzneimittelwirkung enthalten.
Es wurde ein Warnhinweis zu Stimmungsänderungen einschließlich depressiver Verstimmung, Depression und Suizidgedanken aufgenommen. Ärzte sollen die Patienten hinsichtlich möglicher psychiatrischer Symptome überwachen. Patienten sollten bei ersten Anzeichen den Arzt informieren und die Behandlung abbrechen. Auch andere Nebenwirkungen wie Erektionsstörungen, Libidoverlust oder Ejakulationsstörungen werden angegeben. Dass diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) auch über die Einnahme hinaus andauern können, konnte eine Studie im März 2017 belegen.
US-Forscher haben das Suizidrisiko unter Finasterid mithilfe der Datenbank „VigiBase“ nun erneut analysiert. Seit der Änderung der Fachinformationen ist es offenbar zu einem Anstieg der Meldungen von Nebenwirkungen gekommen – vor allem in Bezug auf die Psyche. Bis Mitte 2019 wurden 356 Meldungen zur Suizidalität und knapp 3000 Meldungen zu psychischen Nebenwirkungen gemacht. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Meldungen anderer Wirkstoffe, ermittelte das Team des Brigham and Women’s Hospital in Boston einen signifikanten Anstieg, vor allem bei jungen Männern.
Möglich sei jedoch auch, dass nicht der Wirkstoff, sondern die Alopezie selbst für die Suizide und die Auswirkungen auf die Psyche verantwortlich gemacht werden kann. Denn andere Analysen zeigen, dass die Meldungen erst seit 2012 angestiegen sind. Vorher sei kein spürbarer Anstieg verzeichnet worden. Demnach könnten verstärkte Medienberichte seit 2012 die vermehrten Meldungen ausgelöst haben.
Allerdings zeigte sich bei Patienten, die Minoxidil gegen die androgenetische Alopezie erhielten, kein Zusammenhang mit psychischen Beschwerden oder Suiziden. Das wiederrum spricht für den Wirkstoff Finasterid als Ursache für die Suizide. Aufgrund der kontroversen Ergebnisse sollten verordnende Ärzte dem Team zufolge die Patienten auf mögliche Nebenwirkungen hinweisen und gemeinsam entscheiden, ob die Therapie in Frage kommt.
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