Luftverschmutzung

Feinstaub: Risikofaktor für Alzheimer

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Berlin -

Feinstaub (PM, particulate matter) ist nicht nur eine Belastung für die Umwelt, sondern beeinträchtigt die Gesundheit und ist mit verschiedenen Krankheiten assoziiert. Neuere Studien legen nahe, dass Feinstäube tiefe Atemwegsinfektionen bei Kindern fördern können, aber auch an der Pathogenese des Morbus Alzheimer beteiligt sind.

Feinstaub besteht aus einem komplexen Gemisch fester und flüssiger Partikel und wird abhängig von deren Größe in unterschiedliche Fraktionen eingeteilt. Unterschieden werden PM10 mit einem maximalen Durchmesser von 10 µm, PM2,5 sowie ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 µm. Entscheidend für die gesundheitliche Wirkung von Feinstaub ist die Partikelgröße: Je kleiner die Staubpartikel sind, desto größer ist das Risiko zu erkranken, da sie aufgrund ihrer Größe tiefer in die Atemwege eindringen können als größere. Dadurch gelangen sie in Bereiche, aus denen sie beim Ausatmen nicht wieder ausgeschieden werden.

PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen und ultrafeine Partikel bis in das Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf eindringen. Je nach Größe und Eindringstiefe der Teilchen unterscheiden sich die gesundheitlichen Auswirkungen. Sie reichen von Schleimhautreizungen bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems (Herzfrequenzvariabilität).

Zum anderen ist die chemische Zusammensetzung der Partikel von Bedeutung, denn an der Partikeloberfläche können Metalle und Halbmetalle sowie organische Komponenten (polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Flammschutzmittel, Pestizide) und andere Stoffe anhaften, die dann aufgenommen werden können.

Um den Zusammenhang zwischen PM2.5 und akuten Infektionen der unteren Atemwege (ALRI, acute lower respiratory infections) zu bewerten, hat das Team um Dr. Benjamin Horne vom Intermountain Medical Center Heart Institute in Salt Lake City den Effekt die Daten von 146.397 Versicherten zwischen 1999 und 2016 analysiert. Die Odds Ratios (OR) wurden im Alter von 0 bis 2, 3, 17 und >18 Jahren berechnet. Die Patienten hatten ALRI und wohnten in Utahs Wasatch Front. Die Region ist dafür bekannt, dass die Feinstaubwerte (PM2,5) häufig die Grenzwerte überschreiten.

Primärer Feinstaub entsteht zum Beispiel bei Verbrennungsprozessen. Entstehen die Partikel durch gasförmige Vorläufersubstanzen wie Schwefel- und Stickoxide sowie Ammoniak, so werden sie als sekundärer Feinstaub bezeichnet. Ein wesentlicher Anteil der Feinstäube in Mitteleuropa entstammt den Emissionen von Dieselmotoren. Dabei gelangt Feinstaub nicht nur aus Motoren in die Luft, sondern auch durch Bremsen- und Reifenabrieb sowie die Aufwirbelung des Staubes von der Straßenoberfläche. Weiterhin gelangt Feinstaub aus Emissionen aus Kraft- und Fernheizwerken, Öfen und Heizungen in Wohnhäusern, Metall- und Stahlerzeugung oder auch beim Umschlagen von Schüttgütern in die Umwelt.

Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass es nach Spitzen der Feinstaubbelastung zu einer Zunahme der Klinikbehandlungen wegen akuter tiefer Atemwegsinfektionen kam. Besonders gefährdet scheinen Kleinkinder zu sein, denn etwa 77 Prozent (112.467) der Probanden waren jünger als zwei Jahre alt. Die PM2.5-Luftverschmutzung war bei ALRI sowohl bei Kleinkindern als auch bei älteren Kindern und Erwachsenen mit einer größeren Gesundheitsversorgung verbunden. Die Ergebnisse wurden im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“ veröffentlicht. Da Observationsstudien nicht beweisend sind, sind seitens der Wissenschaftler weitere Untersuchungen zu kausalen Wechselwirkungen zwischen PM2.5 und ALRI erforderlich.

Doch Feinstaub wird nicht nur mit Atemwegsinfektionen, sondern auch mit Alzheimer in Verbindung gebracht. Nach dem Stand der Wissenschaft spielen zwei verschiedene Eiweißablagerungen bei dieser Krankheit eine besondere Rolle: Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen. Beide Substanzen stören die Kommunikation in und zwischen den Nervenzellen. Dadurch sterben über viele Jahre hinweg Nervenzellen und Nervenzellverbindungen ab. Das Team um Dr. Lilian Calderón-Garcidueñas hat im Rahmen einer Studie 203 Autopsien von Einwohnern Mexikos im Alter zwischen 11 Monaten und 40 Jahren mittels immunohistochemischer Methoden analysiert. Die Studienergebnisse wurden im „Journal of Environmental Research“ veröffentlicht.

Die Wissenschaftler fanden erhöhte Gehalte der beiden abnormalen Proteine – hyperphosphoryliertes Tau (Htau) und Beta-Amyloid – in den Gehirnen junger Stadtbewohner mit lebenslanger Exposition gegenüber PM2.5. Sie verfolgten auch Apolipoprotein E (APOE 4). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Alzheimer-Krankheit in der frühen Kindheit beginnt und der Krankheitsverlauf sich auf das Alter, den APOE-4-Status und die Partikelexposition bezieht. Die Forscher fanden bei 99,5 Prozent der von ihnen untersuchten Patienten in Mexiko-Stadt Anzeichen der Krankheit. Darüber hinaus haben APOE 4-Träger gegenüber APOE 3-Trägern ein höheres Risiko für eine schnelle Progression von Alzheimer und ein fast fünffach höheres Risiko, Suizid zu begehen.

Den Forschern zufolge beginnt Alzheimer im Hirnstamm von Kindern. Sie haben außerdem herausgefunden, dass hoch oxidative, ubiquitäre Nanopartikel in der Pathogenese der Krankheit eine Rolle spielen. Nanopartikel, die im Rahmen einer Verbrennung entstanden sind, waren mit einer frühen und fortschreitenden Schädigung der neurovaskulären Einheit verbunden. Insgesamt haben die Autoren einen beschleunigten und frühen Krankheitsprozess für Alzheimer in stark exponierten Einwohnern von Mexiko-Stadt dokumentiert. Sie glauben, dass die schädlichen Auswirkungen durch winzige Feinstaubpartikel verursacht werden, die durch die Nase, die Lunge und den Magen-Darm-Trakt in das Gehirn eindringen und diese Partikel alle Barrieren beschädigen und überall im Körper durch das Kreislaufsystem wandern.

An den Folgen der Belastung durch Luftverschmutzung sterben jährlich drei Millionen Menschen. Das Verständnis der Beziehung zwischen der Exposition gegenüber der Luftverschmutzung und den Folgen für die Gesundheit könnte daher Hinweise auf Maßnahmen zur Verringerung der Exposition und des Krankheitsrisikos geben. Es gibt keine Feinstaubkonzentration, unterhalb derer keine schädigende Wirkung zu erwarten ist. Nicht nur kurzzeitig erhöhte Konzentrationen führen zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen, gerade längerfristig vorliegende, geringere Konzentrationen wirken gesundheitsschädigend. Die Feinstaubbelastung sollte daher so gering wie möglich sein.

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