Apothekerbriefe

Falsche Verordnung: Keine Angst vorm Arzt!

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Berlin -

Wird in der Apotheke auf einem Rezept ein Fehler entdeckt, muss man sich mit Fingerspitzengefühl an den Arzt herantasten. Dass Apothekern aber eine Schlüsselrolle bei der Vermeidung von falschen Verordnungen zukommt, konnten US-Wissenschaftler in einer Studie zeigen. Sie haben herausgefunden, dass durch verstärktes Engagement bei fast der Hälfte der Patienten unangemessene Arzneimittel weggelassen werden konnten. Ein wesentliches Instrument zum sogenannten „Deprescribing“: Apothekerbriefe an die behandelnden Mediziner.

Das Risiko für Interaktionen ist insbesondere bei älteren multimorbiden Menschen sehr hoch, weil sie in der Regel mit vielen verschiedenen Arzneimitteln behandelt werden. Wie die im „Journal of the American Medical Association” (JAMA) veröffentlichte randomisierte Clusterstudie „D-Prescribe” zeigt, kann der Einsatz von Apothekern bei der Betreuung von Senioren zu einer signifikanten Reduktion der Medikation führen.

Dazu rekrutierten die Wissenschaftler um Professor Dr. Cara Tannenbaum in der Zeit von 2014 bis 2017 69 Apotheken der kanadischen Provinz Québec. Für ihre Untersuchung schlossen sie erwachsene Patienten im Alter von 65 Jahren und älter ein, die ein von vier Medikamenten der Beers-Liste (Hypnotika wie Benzodiazepine und Z-Substanzen, Antihistaminika der ersten Generation, Glibenclamid oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)) verordnet bekommen haben. Diese Liste wird im US-Raum als „Arzneimittel-Blacklist” für Senioren verstanden. Sie enthält Medikamente, die von älteren Patienten schlechter vertragen werden und in der Folge nicht selten zu Nebenwirkungen und Krankenhauseinweisungen führen.

Insgesamt beendeten 437 Personen die Studie. Das Durchschnittsalter lag bei 75 Jahren. Die Apotheken wurden einer Randomisierung unterzogen: 34 Apotheken waren in der Interventionsgruppe, 35 in der Kontrollgruppe. Für die Beurteilung der Ergebnisse wurden Patienten, Ärzte, Apotheker und Bewerter verblindet. Die Apotheker der Interventionsgruppe wurden aufgefordert, den Patienten eine Schulungsbroschüre und den behandelnden Hausärzten ein evidenzbasiertes pharmazeutisches Empfehlungsschreiben zu senden, um proaktiv ein Absetzen der ungeeigneten Medikamente einzuleiten. Die Pharmazeuten der Kontrollgruppe betreuten die Senioren im üblichen Rahmen.

Nach sechs Monaten gaben 43 Prozent der Patienten in der Interventionsgruppe an, keine Verordnungen mehr für Medikamente erhalten zu haben, die Wechselwirkungen hervorrufen könnten oder schlicht ungeeignet sind. In der Kontrollgruppe lag dieser Wert bei 12 Prozent. Bezogen auf die vier Arzneimittelgruppen der Beers-Liste wurden bei 43,2 Prozent der Patienten der Interventionsgruppe kritische Hypnotika abgesetzt; in der Kontrollgruppe lag dieser Wert bei 9 Prozent. Einen ebenfalls signifikanten Unterschied beobachteten die Wissenschaftler bei den anderen Arzneimitteln Glibenclamid (30,6 vs. 13,8 Prozent) und NSAR (57,6 vs. 21,7 Prozent). Die Antihistaminika konnten aufgrund der geringen Stichprobengröße (n = 12) nicht analysiert werden. Während der Studie wurden keine unerwünschten Ereignisse berichtet, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten. 38 Prozent der Patienten, die versuchten, die Hypnotika zu reduzieren, berichteten allerdings über Entzugserscheinungen.

Die Studie demonstriert, wie eine von Apothekern geleitete pädagogische Intervention Medikationsfehler bei Senioren vermeidet. Es ist bekannt, dass die Kollegen in Kanada mehr Möglichkeiten haben, ihre pharmazeutische Kompetenz im Versorgungsalltag einzubringen. Hierzulande dürfte der in der Studie vorgestellte Ansatz der Apotheker nicht möglich sein, da dieser wahrscheinlich als Eingriff in die Therapiehoheit des Arztes gewertet werden könnte.

Wissenschaftler der privaten Universität Witten/Herdecke und vom Helios Klinikum Wuppertal haben 2010 erstmals eine entsprechende Liste für Deutschland erarbeitet. Die hiesige Priscus-Liste umfasst 83 für Senioren ungeeignete Arzneistoffe aus 18 Klassen, zu denen unter anderem Analgetika, Antiarrhythmika, Antidepressiva, Neuroleptika, Benzodiazepine und Antidementiva zählen. Da mit dem Alter in der Regel die Anzahl der einzunehmenden Medikamente steigt, ist es für Ärzte und Apotheker besonders wichtig zu wissen, welche Wirkstoffe sie ihren älteren Patienten besser nicht verordnen oder empfehlen sollten.

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