Apotheker gegen Benzodiazepin-Abhängigkeit Julia Pradel, 17.07.2015 14:34 Uhr
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind abhängig von Benzodiazepinen. Apotheken können beim Entzug helfen. Das hat Dr. Ernst Pallenbach in einem Pilotprojekt gezeigt. Vor einem Jahr wurden die Ergebnisse vorgestellte – doch seitdem hat sich wenig getan. Krankenkassen und Ärzte stellen sich quer, und Pallenbach kämpft darum, dass seine Idee nicht in der Versenkung verschwindet.
An dem Modellprojekt, das von der ABDA und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) gefördert wurde, nahmen insgesamt 46 Apotheken, 63 Hausärzte und 101 Patienten teil, die regelmäßig Benzodiazepine einnahmen. Die Patienten, zu mehr als 70 Prozent Frauen, wurden von Apothekern in Abstimmung mit dem Hausarzt beraten. Knapp die Hälfte der Patienten konnte nach Ablauf des Projektes ganz auf die Schlafmittel verzichten, 28 Prozent konnten die Dosis verringern.
„Die Ergebnisse waren nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten sehr gut“, fasst Pallenbach zusammen. Doch nach dreieinhalb Jahren wurde das Projekt wie geplant beendet. „Nun ist man daran, das Gedankengut in der Breite umzusetzen.“
Die ABDA kündigte bereits bei der Vorstellung der Ergebnisse an, das Projekt weiter ausbauen zu wollen. „Wir als Apothekerschaft werden den Krankenkassen ein konkretes Vertragsangebot zur Kostenübernahme machen“, sagte Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK) damals.
Doch seitdem ist es ruhig geworden um die Suchtberatung in der Apotheke. „Auf kleiner Ebene läuft es noch, vor allem bei denjenigen, die geschult wurden“, berichtet Pallenbach. Aber um die Suchtberatung in der Apotheke durchzuführen, braucht es aus seiner Sicht derzeit „eine gehörige Portion Idealismus“. „Es kostet Arbeitszeit und man verliert die Dauerverordnung. Die Apotheker werden also praktisch dafür bestraft, dass sie den Menschen helfen“, erklärt Pallenbach. Daher ist es zwingend erforderlich, dass die Leistung honoriert wird.
Doch die Verhandlungen mit den Kassen verlaufen sehr zäh. „Die Krankenkassen finden es toll, dass die Apotheker helfen – aber zahlen wollen sie dafür nicht“, kritisiert Pallenbach. Darum hat es die Idee seiner Meinung nach noch nicht in die breite Praxis geschafft.
Während der Projektphase hatten die beteiligten Apotheker eine Aufwandsentschädigung von 150 Euro pro Patient erhalten. „Ein Mittelwert“, erklärt Pallenbach, „denn bei manchen Patienten führt die Intervention sehr schnell zum Erfolg, in anderen Fällen dauert es sehr lange.“ Für ihn kommt es jedoch vor allem auf die Symbolik an.
Ein weiterer Hemmschuh sind aus Pallenbachs Sicht die Ärzte: „Die Ärztekammer ist kein Freund von dem Projekt“, stellt er fest. „Dort wird – plakativ gesprochen – befürchtet, dass der Apotheker dem Arzt sagt, was er falsch macht.“ Von den beteiligten Ärzten habe er aber nur positive Resonanz bekommen, betont Pallenbach.
Es werde auch oft behauptet, der Apotheker greife in die Therapie ein. „Aber das ist nicht so. Alles geschieht in Rücksprache mit dem Arzt“, so Pallenbach. Darauf sei immer wieder hingewiesen worden. Aber es gebe unter den Ärzten die Sorge, dass ihnen etwas weggenommen werde. Das regt Pallenbach auf: „Gerade die pharmazeutische Beratung ist das Neue an dem Projekt: Es ist ein niedrigschwelliges Angebot“, betont er. Die Beratung in Apotheke und Arztpraxis ergänzt sich seiner Meinung nach wunderbar. „Es geht nicht ohne den Arzt. Und wir arbeiten nicht gegen den Arzt.“
Kassen und Ärzte verhinderten somit die Umsetzung des Projekts in der Fläche. Die Kostenfrage wiegt zwar aus Pallenbachs Sicht schwerer, aber: „Wenn die Ärztekammer mitmachen würde, wäre es aber auf jeden Fall leichter.“
Pallenbach hat die Suchtberatung durch die Apotheke vor einigen Jahren auf die Beine gestellt. „Ich hatte die Idee, dass der Apotheker etwas beitragen und mehr leisten kann als die Abgabe.“ Pallenbach bildete sich in Kommunikationstechniken fort und lernte, wie er Patienten auf das Problem ansprechen konnte: Sind Sie morgens taumelig? Häufig unkonzentriert? „Man muss den Patienten erklären, dass weder der Arzt noch das Arzneimittel schlecht ist, und man sollte auch nicht von Sucht und Entzug sprechen“, erklärt der Apotheker.
Die Gesprächsführung ist laut Pallenbach „der Clou“ an der Sache. Als Krankenhausapotheker in Villingen-Schwenningen erprobte er sein Konzept. Ärzte nannten ihm Patienten und er sprach sie an. „Das hat gut geklappt und die Ergebnisse habe ich publiziert.“ Anschließend seien das BMG und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung auf ihn zugekommen und das Pilotprojekt sei entstanden.
Dass überhaupt so viele Patienten abhängig von Benzodiazepinen sind, liegt aus Pallenbachs Sicht an der Wahrnehmung: „Am Anfang sind es gute und nützliche Arzneimittel – die dann zu lange verordnet werden.“ Nach einem Schicksalsschlag, bei großer Trauer und Schlaflosigkeit helfen die Tabletten dabei, gut zu schlafen. „An diesen besseren Zustand gewöhnt man sich.“
Doch nach relativ kurzer Zeit – zwischen vier Wochen und drei Monaten – werden die Patienten abhängig. Aus Sicht von Pallenbach wird dieses Problem nicht ausreichend wahrgenommen. Die Niedrigdosis-Abhängigkeit und die Substanzen selbst werden als unkritisch eingestuft, die Vorteile der Abstinenz unter- und die Belastung des Entzugs überschätzt. „Hinzu kommen bei den Apothekern eine ziemlich hohe Hemmschwelle, den Arzt anzusprechen, und praktische Probleme, weil man den Mediziner nicht erreicht.“
Ein Problembewusstsein bei den Ärzten auszubilden, hält Pallenbach für schwierig. „Zwar gibt es Schulungen und Publikationen – aber die erreichen meist nur diejenigen, die sich ohnehin für die Thematik interessieren.“ Der primäre Ansatzpunkt, um Abhängigkeiten zu verhindern, ist seiner Meinung nach zwar der Arzt, „aber wir Apotheker können dabei helfen, Fehlbedarf zu erkennen und tätig zu werden.“
Anzeichen für eine Abhängigkeit in den kurzen Gesprächen im Alltag zu erkennen, ist schwierig. „Man kann aber davon ausgehen, dass es bereits nach einiger Zeit nicht mehr gut geht“, so Pallenbach. Von Vorteil sei dann natürlich eine Kundenkartei, aber schon die kurze Nachfrage „Wie lange nehmen Sie das denn schon?“ könne helfen, erklärt er Apotheker. „Auch ein kurzer Satz kann Wunder wirken: 'Das sollte man nicht zu lange nehmen, ich kann Sie da auch ausführlicher zu beraten.' Damit kann man den Patienten nicht verärgern und weckt auf diese Weise Interesse beim Patienten.“
Dann könne man anhand der Leitlinien, die Pallenbach schult, ein Reduktionsschema erarbeiten, das dann vom Arzt gegengezeichnet wird. Denn der Arzt verantworte die Reduktion der Dosis, betont Pallenbach. Daher müsse man sich zeitnah mit dem Arzt kurzschließen. Bislang wird diese Arbeit nicht vergütet. Das will Pallenbach ändern: „Ich will versuchen, das aus der Idealismus-Ecke rauszubewegen. Wenn man es in die Breite bringen will, ist ein Honorar nötig – und gerechtfertigt.“