Bislang galt Spermidin als das Supplement Nummer 1, um Körper und Geist jung zu halten. Präventiv gegen Zellalterung eingesetzt, schrieben Expert:innen dem körpereigenen Botenstoff lebensverlängernde Eigenschaften zu. In der Apotheke werden entsprechende Produkte verkauft. Forscher:innen der Universitätsmedizin Greifswald fanden jetzt aber heraus, dass erhöhte Spermidin-Werte im Blut ein möglicher Marker für Alzheimer sein könnten. Ausgerechnet der „Jungbrunnen“ könnte mit erhöhten Blutwerten für eine Hirnalterung sorgen.
Wissenschaftler:innen untersuchten die Blutwerte von 659 Proband:innen. Dabei stellten sie fest, dass eine erhöhte Konzentration des körpereigenen Moleküls Spermidin ein Indikator für eine fortgeschrittene Hirnalterung sein kann. Da Spermidin die Autophagie induziert, kann der Körper über Zellreinigungsprozesse Stoffwechselprodukte abbauen. Ist dieser Vorgang gestört, wirkt sich das auch auf das Gehirn aus. Bislang galt, dass die Zufuhr dieses Botenstoffes der altersbedingten Demenz gar entgegenwirken könne.
Der bisherige Stand der Forschung wird durch die Untersuchung widerlegt: „Unsere Studie zeigt, dass der Spermidin-Blutspiegel nicht die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit widerspiegelt, die in Tiermodellen und Humanstudien bei einer höheren Spermidin-Aufnahme mit der Nahrung beobachtet wurden“, fasst Agnes Flöel, Seniorautorin der Studie, die Ergebnisse zusammen. „Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass der Spermidin-Blutspiegel als potenzieller Biomarker für präklinische Alzheimer-Demenz verwendet werden könnte.“ Die Forschung habe gezeigt, dass auch erhöhte Spermidin-Gewebespiegel, zum Beispiel in verschiedenen Gehirnbereichen, ein Indikator sind.
Es scheint demnach einen Unterschied zwischen der körpereigenen Erhöhung des Spiegels und der Zufuhr des Mittels von außen zu geben. „Um diesen bekannten Gegensatz besser zu verstehen, wollten wir die Beziehung zwischen dem Spermidin-Blutspiegel und etablierten MRT-basierten Hirnmarkern, die Veränderungen während der Hirnalterung und bei Alzheimer-Demenz zeigen, in der Allgemeinbevölkerung untersuchen“, sagt Dr. Silke Wortha, Erstautorin der Studie.
Dem entgegen steht die Erkenntnis des Grazer Molekularbiologen Frank Madeo. Ihm gelang der Nachweis anhand von Labormäusen, dass Spermidin vor kardiovaskulären Erkrankungen schützen kann. Somit trage es zur Lebensverlängerung und insgesamt auf die Verbesserung der Gesundheit bei. Die Herzalterung sei verzögert, indem die diastolische Funktion verbessert werde.
Erste positive Ergebnisse konnten außerdem 2018 in einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-IIa-Studie beobachtet werden. Das Forscherteam der Charité Berlin untersuchte bei 30 Teilnehmern ab 60 Jahren mit subjektiver kognitiver Verschlechterung, den Effekt einer täglichen Supplementation von Spermidin auf die Gedächtnisleistung: Die Probanden erhielten entweder 1,2 mg Spermidin in Kapselform pro Tag oder Placebo. Schon nach drei Monaten wurde in der Versuchsgruppe eine moderate Verbesserung der Gedächtnisleistung gegenüber der Kontrollgruppe festgestellt.
Sowohl Tiermodell- wie auch Zellkulturstudien konnten zeigen, dass der Abbau von molekularem Zellmüll wie potenziell zellschädigenden Proteinaggregaten durch eine spermidininduzierte Autophagie ausschlaggebend zu sein scheint. Die Supplementation von Spermidin stellt daher eine mögliche Interventionsstrategie bei abnehmender Gedächtnisleistung dar. Auf natürliche Weise lässt sich der Spermidingehalt im Körper ebenfalls erhöhen. Sport und gesunde Ernährung können dazu beitragen.
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