Muskelrelaxantien

Enzephalopathie unter Baclofen APOTHEKE ADHOC, 12.11.2019 13:35 Uhr

Risiko Enzephalopathie: Unter der Therapie mit Baclofen kann es vor allem bei Nierenfunktionsstörungen zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen. Foto: Pixabay
Berlin - 

Unter der Therapie mit Baclofen kann es zur Entwicklung von gefährlichen Enzephalopathien kommen. Verstärkt scheint dieses Risiko bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen aufzutreten. Diese Hinweise lieferte eine kanadische Studie, die im Fachjournal „JAMA“ veröffentlicht wurde. Unentdeckte Nierenschäden vor der Therapie könnten somit zu Komplikationen führen.

Baclofen zählt eigentlich zu den Muskelrelaxantien. Es ist indiziert zur Behandlung von Spastizität der Skelettmuskulatur, die durch Multiple Sklerose, Rückenmarkserkrankungen oder -verletzungen hervorgerufen wird oder zerebralen Ursprungs ist. Baclofen ist ein Derivat der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und wirkt somit als Agonist an den GABA-Rezeptoren im Gehirn und am Rückenmark. Dort bewirkt es eine Hemmung von unkontrollierten Erregungen und lindert so die Spastiken.

Baclofen verfügt damit über antispastische und dämpfende Wirkungen. Häufig wird der Wirkstoff daher auch im Off-Label-Bereich eingesetzt, beispielsweise zur Behandlung von Alkoholismus oder einer Trigeminusneuralgie. In Frankreich ist Baclofen seit März 2014 für die Suchttherapie zugelassen.

Generell gilt Baclofen als gut verträglich. Es kann jedoch aufgrund des Wirkmechanismus und dem damit verbundenen Einfluss auf den Neurotransmitter GABA zu Verwirrtheitszuständen, Schläfrigkeit und Bewusstlosigkeit führen. Diese Symptome können in Folge einer Enzephalopathie auftreten und eine Hospitalisierung erforderlich machen. Eine Kohortenstudie stellt dar, dass dieses Risiko bei einer eingeschränkten Nierenfunktion wesentlich erhöht ist.

Durchgeführt wurde die Untersuchung vom Institute for Clinical Evaluative Sciences in Ontario. Die Forscher untersuchten, wie häufig Hospitalisierungen wegen einer Enzephalopathie nach Baclofen-Verordnungen vorkamen. Dazu werteten sie die Daten von Patienten der staatlichen Kran­ken­ver­siche­rung aus. Die Analyse zeigt, dass Patienten, die Baclofen verordnet bekamen, häufiger wegen einer Enzephalopathie im Krankenhaus behandelt werden mussten als solche, die kein Baclofen erhielten.

Von gut 284.000 Patienten, die kein Baclofen verordnet bekamen, wurden nur 165 – das entspricht 0,06 Prozent – wegen einer Enzephalopathie im Krankenhaus behandelt. Bei den knapp 10.000 Patienten, die Baclofen in einer Dosis von unter 20 mg pro Tag erhielten, waren es 108 innerhalb von 30 Tagen – das entspricht 1,11 Prozent. Von den 6235 Patienten, die eine Baclofen-Dosis von mehr als 20 mg pro Tag erhielten, wurden 0,42 Prozent hospitalisiert.

Ein wichtiger Risikofaktor ist den Forschern zufolge eine Nierenfunktionsstörung: Denn der Wirkstoff Baclofen wird fast vollständig über die Nieren ausgeschieden. Auch die Auswertungen bestätigten diese These: Mit nachlassender Nierenfunktion stieg das Risiko für eine Enzephalopathie an. Als Grundlage für die Nierenfunktion nahmen die Forscher die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) zur Hilfe.

Bei einer eGFR von 45 bis 59 ml/min/1,73 m2 entwickelten 0,42 Prozent eine schwere Enzephalopathie, bei 30 bis 44 ml/min/1,73 m2 waren es sogar 1,23 Prozent. Eine weiter nachlassende Funktion mit einer eGFR von unter 30 ml/min/1,73 m2 führte sogar bei 2,90 Prozent der Patienten zu einer Enzephalopathie. Eine nicht beachtete Nierenfunktionsstörung könnte damit den Forschern zufolge das Risiko auf eine solche Komplikation erhöhen.

Auch in der Fachinformation baclofenhaltiger Arzneimittel wird ein Hinweis gegeben: „Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist Baclofen vorsichtig und niedriger zu dosieren.“ Besonders erwähnt werden zudem Hämodialysepatienten: Da bei ihnen die Plasmaspiegel an Baclofen erhöht sind, sollte bei dieser Patentengruppe nur eine besonders niedrige Dosis von 5 mg täglich verwendet werden.

Zudem soll Baclofen bei Patienten mit Niereninsuffizienz im Endstadium nur angewendet werden, wenn der Nutzen das Risiko überwiegt. Im Falle einer solchen Anwendung müssen die Patienten engmaschig überwacht werden, um bereits frühe Anzeichen einer Toxizität zu erkennen.

Eine gleichzeitige Einnahme mit anderen Muskelrelaxanzien oder Medikamenten, die dämpfende Wirkungen auf das zentrale Nervensystem besitzen, wie beispielsweise Psychopharmaka, Schlafmittel, Opioide oder sedierende Antidepressiva, kann eine gegenseitige Wirkungsverstärkung zur Folge haben. Ebenso sollte der Konsum von Alkohol unter einer Therapie mit Baclofen vermieden werden, da die Wechselwirkungen unvorhersehbar sind.